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Gemüse im Sack macht satt

In Europa und den USA stillt Urban Gardening die Sehnsucht der Städter nach Selbstversorgung und Bodenständigkeit – in Kibera in Kenia, dem größten Slum der Welt, sichert es die Existenz von Menschen.

Von Klaus Sieg

Der Weg zu Alfred Dagadwa führt durch enge Gassen. Der Abstand zwischen den rissigen Lehmmauern ist kaum breiter als die eigenen Schultern. In der Mitte fließt ein schmutziges Rinnsal. Um nicht in die graue Brühe aus Abwaschwasser und dem Inhalt ausgekippter Nachttöpfe zu treten, eilen die Menschen breitbeinig über die Ränder der ausgetretenen Wege. Auch Alfred Dagadwa. „Kommen Sie hier entlang.“ Hinter ihm führt eine Sackgasse tiefer hinein in den Slum. „Das ist mein Gemüsegarten“, sagt er nach ein paar Metern und zeigt auf die Säcke mit Kürbis, Spinat und Kelipflanzen, die an der Mauer zwischen den Hütten stehen. Weit überragen ihre Stengel und Blätter die rostigen Blechdächer. Keli ist in der kenianischen Küche weit verbreitet. Das Blattgemüse ist kräftig im Geschmack, nahrhaft, robust und wächst schnell. Es ernährt nicht nur den 35-Jährigen, seine Frau und die drei Kinder, auch die Nachbarn bekommen regelmäßig etwas ab.Alfred Dagadwa wohnt in Kibera, einem der größten Slums der Welt. Vielleicht lebt hier nicht wirklich eine Million Menschen, wie es häufig heißt – aber es sind sehr viele. Kibera liegt an den Gleisen der noch von den Briten gebauten Eisenbahn zwischen der kenianischen Hafenstadt Mombasa und der ugandischen Hauptstadt Kampala. Der Bahnhof, um den herum Nairobi in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entstand, ist nicht weit. Nah ist auch das Zentrum mit den neuen Bürotürmen, wo Kenias wachsende Mittelschicht über die breite Kenyatta Avenue flaniert. Die Menschen in Kibera leben dicht an dieser Welt und gleichzeitig sehr weit von ihr entfernt. „Im Slum ist alles knapp: Geld, Wasser, Essen und Platz“, sagt Keith Porter von der französischen Nichtregierungsorganisation „Solidarité“. Die Organisation hat die Menschen in Kibera und einem weiteren Slum Nairobis mit Säcken, Setzlingen und Erde ausgestattet und ihnen die Grundlagen des Urban Gardening, dem Gärtnern in der Stadt, beigebracht. Seitdem pflanzen sie Gemüse und Kräuter, hauptsächlich in Säcken aber auch in kleinen Beeten am Bahndamm, am Rande von Bolzplätzen oder in aufgebrochenen Fundamenten zusammengefallener Häuser.

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