Die evangelische und die katholische Kirche wollen ab dem Schuljahr 2018/19 in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht, also einen Religionsunterricht für evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler gemeinsam, anbieten. Eine entsprechende Vereinbarung haben die führenden Vertreter der drei evangelischen Landeskirchen im Rheinland, in Westfalen und Lippe sowie der katholischen Bistümer Münster, Essen, Paderborn und Aachen im August unterzeichnet. Damit ist der konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen eine gesicherte Rechtsgrundlage gegeben. Dem vorausgegangen ist eine lange und gründliche Vorbereitung insbesondere durch Pilotprojekte in Grund-, Real- und Gesamtschulen.
Religionsunterricht immer bekenntnisgebunden
Die weiterhin geltenden evangelischen und katholischen Lehrpläne sind gemäß der Vereinbarung aufeinander zu beziehen und in entsprechende Unterrichtsplanungen zu übersetzen. Zudem gewährleistet der darin festgeschriebene verpflichtende Wechsel zwischen katholischen und evangelischen Fachlehrern, dass die Schülerinnen und Schüler beide konfessionelle Perspektiven im Unterrichtsverlauf authentisch kennenlernen und sich damit auseinandersetzen können. Voraussetzung dafür, dass Religionsunterricht an einer Schule konfessionell-kooperativ erteilt werden kann, ist, dass dort, wie es in der Vereinbarung heißt, „Religionsunterricht beider Konfessionen – erteilt von Lehrerinnen und Lehrern beider Konfessionen – stattfindet“. (Hervorhebungen durch die Redaktion)
Mit dem neuen Unterrichtsangebot in der leitenden Absicht „Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden“ wird einer langsam aber stetig zunehmenden religiösen Pluralität in unseren Schulen Rechnung getragen. Veränderungen sowohl in der Praxis als auch in den Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts erfordern nachhaltige Planungen für die Zukunft des Schulfachs.
Dabei ist festzuhalten, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts in NRW politisch zurzeit nicht in Frage gestellt werden. Es gelten die Bestimmungen des Grundgesetzes. Danach ist gemäß Artikel 7 der Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften“ als konfessioneller Religionsunterricht zu erteilen. Auf der Basis des Artikels 4, der die Freiheit der Religionsausübung der Bürgerinnen und Bürger unter staatlichen Schutz stellt, ist das so zu interpretieren: Der Religionsunterricht ist weder ein Relikt aus „Kaisers Zeiten“ noch ein staatliches „Geschenk“ an die Kirchen, sondern die Bedingung der Möglichkeit der Religionsausübung in formalen Bildungsprozessen. Vor diesem Hintergrund ist auch die derzeitige Bemühung um die Einführung islamischen Religionsunterrichts, wenn auch verspätet, konsequent und notwendig.
Im Sinn des Grundgesetzes nimmt der Religionsunterricht Bezug auf gesellschaftlich reale Religionsgemeinschaften mit denen der weltanschaulich neutrale Staat die Inhalte des Fachs abstimmt. Religionsunterricht ist dabei in NRW kein neutrales religionskundliches Fach, sondern ermöglicht den Schülerinnen und Schülern die Begegnung mit ihrer Religion.
Soweit die Theorie. Freilich darf nicht verschwiegen werden, dass unterhalb der gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen in vielen Fällen sehr pragmatische, sogenannte „ökumenische“ Lösungen für die Erteilung des Religionsunterrichts erkennbar werden. So kommt es immer wieder vor, dass aus organisatorisch-praktischen Gründen der evangelische oder katholische Religionsunterricht im Klassenverband erteilt wird, wenn es etwa an genügend evangelischen oder katholischen Schülerinnen und Schülern mangelt.
Das aber etwa mit dem Begriff „ökumenischer Religionsunterricht“ zu belegen, wäre in diesem Zusammenhang insofern problematisch, weil es keine ökumenische Kirche als Religionsgemeinschaft und insofern reale Bezugsgröße gibt. So ist denn auch die offizielle Sprachregelung in allen Dokumenten bezüglich der Zusammenarbeit der Kirchen im Religionsunterricht die Bezeichnung „Konfessionelle Kooperation“. Ziel der Überlegungen zur konfessionellen Kooperation ist in allen kirchlichen Verlautbarungen insofern die Beibehaltung der Konfessionalität des Religionsunterrichtes.
Aus schulpraktischen, auch aus pädagogischen Überlegungen erscheint vielen Lehrerinnen und Lehrern sowie Schulleitungen der gemeinsame Unterricht im Klassenverband auch im Religionsunterricht die bessere Lösung zu sein. Darüber hinaus ergibt sich eine deutliche Veränderung der Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts durch zwei Phänomene, die zumeist mit den Stichworten Säkularisierung und Pluralisierung beschrieben werden und die immer deutlicher zu Tage treten: Einerseits ist der Anteil der konfessionslosen Kinder innerhalb der Schülerschaft erheblich. Andererseits hat in den vergangenen Jahren der Anteil muslimischer Schüler signifikant zugenommen (siehe Kasten).
Vereinbarung beseitigt rechtliche Unsicherheit
Es liegt nahe, dass aufgrund dieser Entwicklung die Praxis des Religionsunterrichts Änderungen unterliegt. So ist an vielen Schulen vor allem in den Ballungsräumen die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler für den Religionsunterricht schwierig geworden. Zudem ist die konfessionelle Aufteilung der muslimischen Schülerinnen und Schüler niemals angedacht worden – wieso sollte da einer immer kleiner werdenden Gruppe christlicher Schülerinnen und Schüler dieses Recht vorbehalten bleiben. Es ist offensichtlich, dass Regulierungsbedarf besteht.
Um angesichts dieser Situation die rechtliche Unsicherheit nicht weiterhin den Lehrkräften oder den Schulen aufzubürden, sahen sich die Kirchen in der Pflicht, gemeinsam mit der staatlichen Seite nach Lösungen zu suchen. Eine Antwort auf die Gesamtsituation ist die vereinbarte offizielle und rechtlich abgesicherte konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht als Angebot ab dem Schuljahr 2018/19.
In anderen Bundesländern ist diese Organisationsform für den Religionsunterricht bereits rechtlich abgesichert und erprobt. Dabei handelt es sich um Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes, denn dabei werden die Perspektiven beider Konfessionen bewusst in den Unterricht eingebracht.
Dazu gibt es zum Beispiel in Niedersachsen und Baden-Württemberg breits entsprechende Vereinbarungen zwischen Staat und Kirchen, die Verfahrensfragen und Lehrplanbezüge regeln. In Nordrhein-Westfalen gab es bisher nur eine Vereinbarung zwischen der Lippischen Landeskirche, dem Erzbistum Paderborn und der Bezirksregierung Detmold für den Bereich Grundschulen in Lippe – mit guten Erfahrungen.
In der baden-württembergischen Konzeption werden die Ziele solchen Unterrichtens deutlich: Ziel der Vereinbarung dort aus dem Jahr 2005 ist es, „den Schülerinnen und Schülern ein vertieftes Bewusstsein der eigenen Konfession zu verschaffen, die ökumenische Offenheit der Kirchen erfahrbar zu machen und den Schülerinnen und Schülern beider Konfessionen die authentische Begegnung mit der jeweils anderen Konfession zu ermöglichen“, heißt es da. Die je besonderen konfessionellen Eigenarten seien zu thematisieren, mit der Absicht, „Gemeinsamkeiten zu stärken und Unterschieden gerecht zu werden“.
Dabei ist für jede Lehrkraft der Lehrplan der eigenen Konfession verbindlich, ergänzt um drei bis sechs weitere Standards aus dem Lehrplan der je anderen Konfession. Diese sind für jede Schulform in einem „verbindlichen Rahmen für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht“ festgelegt. Darüber hinaus ist der obligatorische Lehrerwechsel zu verabreden.
Die Auswertung kommt überwiegend zu einem positiven Ergebnis. Kritisiert wird vor allem das umständliche Genehmigungsverfahren. Hervorzuheben ist aber die Einschätzung, dass die genannten drei Hauptziele des Projekts als richtungsweisend eingestuft werden und die konfessionelle Kooperation für den interkonfessionellen Dialog von hoher Bedeutung ist. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass gerade der konfessionell-kooperative Unterricht geeignet ist, die konfessionelle Identität der Schüler zu stärken. Zwar nur in einer Anmerkung – jedoch möglicherweise darüber hinaus – zielführend ist der Hinweis, dass bei entsprechend vorhandenem islamischen Religionsunterricht in einem weiteren Schritt auch über interreligiöse Kooperation nachgedacht werden könne.
Im Bereich der westfälischen Landeskirche gab es im Vorfeld der jetzt getroffenen Vereinbarung erste Pilotprojekte im Kirchenkreis Münster mit dem Ziel, zu einer generellen Verabredung über die konfessionelle Kooperation zu kommen. An der städtischen katholischen Ostwallgrundschule sowie der städtischen Realschule in Lüdinghausen wurde ein Schulversuch mit dem Schuljahr 2013/14 initiiert unter Begleitung durch das Pädagogische Institut sowie der religionspädagogischen Abteilung des Bistums Münster.
Es wurden mit der Fachschaft Curricula (Lehrpläne) erarbeitet, die auf die gültigen Lehrpläne beider Konfessionen Bezug nehmen, um den Schülerinnen und Schülern Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Konfessionen bewusst zu machen. Die Klassen werden nun im gemischt-konfessionellen Klassenverband unterrichtet und der Lehrerwechsel wird bewusst verabredet. Zudem hat die westfälische Landeskirche mit dem Erzbistum Paderborn und der Bezirksregierung Detmold mehrere Pilotprojekte an Gesamtschulen initiiert, die im Wesentlichen den Vorgaben in Lüdinghausen folgen.
Neueinführung an klare Voraussetzungen gebunden
Die jetzt getroffene Vereinbarung zwischen den Bistümern in NRW und den NRW-Landeskirchen, ab dem Schuljahr 2018/19 an allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen die konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht anzubieten, hält fest, dass eine Grundschule oder eine weiterführende Schule im Sekundar-I-Bereich, die in das neue Modell einsteigen will, dazu einen Antrag über die Schulleitung an die beiden zuständigen kirchlichen Stellen stellen muss. Gibt es von beiden Stellen einen positiven Bescheid, muss die Genehmigung der staatlichen Stelle erteilt und der Schule mitgeteilt werden.
Voraussetzungen dafür sind vor allem, dass zuvor die Fachkonferenzen den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht befürworten, die Schulkonferenz darüber berät und entsprechende Unterrichtspläne vorliegen, die den Wechsel der Fachlehrkräfte berücksichtigen.
Die zuständigen kirchlichen Stellen sind gehalten, kooperativ Fortbildungsveranstaltungen für die einzelnen Regionen und Schulformen anzubieten, damit die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer befähigt werden, die Intentionen der Kooperation umzusetzen.
All diese Versuche sind keine „Revolutionen“, sondern Ausdruck des gemeinsamen Bemühens beider Kirchen darum, dass auch in Zukunft Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten, sich mit lebendiger Religion persönlich auseinanderzusetzen, um in ihrer religiösen Haltung kommunikationsfähig zu werden. Wie bisher können auf Wunsch und mit Zustimmung der betreffenden Lehrkraft auch Schülerinnen und Schüler anderer Religionen am Religionsunterricht teilnehmen.
Der Autor, Rainer Timmer, ist Leiter des Pädagogischen Instituts (PI) der Evangelischen Kirche von Westfalen.