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Gefahr für Minderjährige im Netz nimmt zu – Ruf nach Medienkunde

Das sogenannte Cyber-Grooming hat zuletzt zugenommen. Dabei fragen Erwachsene Minderjährige im Netz nach anzüglichen Bildern oder privaten Treffen. Nach Einschätzung von Fachleuten ist die Gefahr noch nicht genug erkannt.

Ein Mann hat über Jahre in unterschiedlichen Internetportalen und Messenger-Diensten Mädchen unter 14 Jahren angeschrieben und sexualisierten Chatverkehr mit ihnen geführt. In mehreren Fällen kam es zu Treffen, mitunter zu sexuellen Handlungen. Nun wurde der 41-Jährige, der ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, vom Landgericht Mannheim unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechseinhalb Jahren verurteilt.

Ein Fall von vielen, wie Jürgen Held weiß. Held ist Medienpädagoge, er arbeitet beim Mannheimer Jugendamt und klärt in Workshops, Schulungen und persönlichen Beratungsgesprächen über die potenziellen Gefahren des Internets auf. “Jedes Kind kann Opfer werden”, sagt er. Eltern müssten sich dessen bewusst sein, bevor sie ihrem Kind das erste Smartphone überlassen.

Der Experte erlebt immer wieder, dass Eltern keine Vorstellung davon haben, wie einfach es ist, sich Zugang zu ihren Kindern zu verschaffen. “Sobald die Instagram- oder Tiktok-Accounts offen sind, hat jeder im Netz die Möglichkeit, die Kinder anzusprechen”, warnt der Medienpädagoge.

Dabei gehen die Täter – in den allermeisten Fällen sind es Männer – perfide vor: Sie geben sich als gleichaltrig oder ähnlich alt aus, umschmeicheln die Kinder, äußern sich positiv über Outfit und Aussehen, verlangen bald ein Foto, dann ein zweites Foto vielleicht im Bikini, irgendwann ein Nacktfoto oder gar ein Video.

Mit diesen Bildern setzen sie dann die Betroffenen unter Druck, mehr Bildmaterial zu liefern; manchmal wird auch Geld erpresst. In Einzelfällen kommt es zu echten Treffen. “Viele Kinder und Jugendliche, selbst Erwachsene sind darauf nicht vorbereitet und merken zu spät, dass sie manipuliert wurden”, sagt Held. Die Scham ist dann groß, und für die Betroffenen ist es fast unmöglich, sich jemandem anzuvertrauen.

Die Gefahr für Kinder und Jugendliche, Opfer von sogenanntem Cyber-Grooming zu werden, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Cyber-Grooming meint die gezielte Manipulation von Minderjährigen und jungen Erwachsenen, um sexuellen Missbrauch zu begehen. Strafrechtlich gilt Cybergrooming als besondere Begehungsform des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, eine Straftat, auf die bis zu fünf Jahre Gefängnis stehen.

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik gab es 2023 bundesweit fast 3.800 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern im Alter zwischen null und 14 Jahren, ohne dass es zu Körperkontakt gekommen wäre – wobei sowohl die Vorbereitung von Missbrauch als auch der Versuch dazu strafbar ist. Dazu kommen 1.200 Fälle von sexuellem Missbrauch von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren.

Laut Bundeskriminalamt (BKA) steigen die Zahlen, was auch, aber nicht nur mit der größeren Aufmerksamkeit für das Thema zusammenhängt. Das heißt, mehr Fälle werden angezeigt oder bei polizeilichen Ermittlungen aufgedeckt. Neben diesem Hellfeld gibt es aber noch das Dunkelfeld – Verbrechen, die nicht angezeigt werden. Gerade im Deliktsbereich Cybercrime werden viele Menschen Opfer von Straftaten, gehen jedoch nicht zur Polizei. Das Dunkelfeld ist hier also besonders groß. Laut BKA werden bei Online-Straftaten generell nicht einmal ein Fünftel angezeigt.

Die Herausforderungen werden außerdem nicht weniger: Auf dem Vormarsch sind sogenannte Deepfakes, das Erstellen sowie Manipulieren von Bild-, Video- und Audiomaterial mittels Künstlicher Intelligenz (KI), so dass täuschend echt wirkende Medieninhalte entstehen, die dann verbreitet oder als Drohmittel genutzt werden. Ein Ganzkörperfoto reicht, und mit einem Klick hat die KI die Person ausgezogen. Echt ist nur noch der Kopf. “Das ist das Thema, bei dem es gerade den höchsten Informationsbedarf gibt”, sagt Held. Ihm ist bislang ein Fall an einer Mannheimer Schule bekannt, an der eine Schülerin Opfer eines Deepfake wurde.

Wie Kinder und Jugendliche vor dem Tatort Internet geschützt werden? “Durch Prävention, das ist der Schlüssel”, sagt Held. Der beste Ort, um alle zu erreichen, sei die Schule. Experten fordern deshalb seit Jahren, dass Medienbildung ein eigenes Schulfach sein sollte: “Wir müssen die Kinder und Jugendlichen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Smartphone und Internet erziehen.” In Thüringen gibt es inzwischen ein Fach “Informatik und Medienkunde”, und Baden-Württemberg führt ab dem Schuljahr 2025/26 “Informatik und Medienbildung” als ein eigenes Schulfach ein.