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Gedenkstätte nimmt Täter in den Blick

Eine Wanderausstellung begibt sich auf die Suche nach den Motiven für Beteiligung an Verbrechen. Bis Dezember ist sie im ehemaligen KZ Bergen-Belsen zu sehen.

Bisher stehen die Opfer im Mittelpunkt, künftig sollen Besuchende mehr über die Verantwortlichen der Gräueltaten erfahren.
Bisher stehen die Opfer im Mittelpunkt, künftig sollen Besuchende mehr über die Verantwortlichen der Gräueltaten erfahren.Martin Bein

Mehr als 70 000 Menschen starben bis 1945 in Bergen-Belsen an Misshandlungen, Hunger und Krankheiten – 52 000 KZ-Häftlinge und rund 20 000 Kriegsgefangene. Wer waren die Verantwortlichen, was trieb sie an?

Mit dieser Frage beschäftigt sich eine neue Sonderausstellung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Sie zeigt anhand von Fotos, Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Prozessunterlagen und anderen historischen Dokumenten, dass für die Täterinnen und Täter ganz unterschiedliche Motive eine Rolle spielten.

KZ-Aufseherin als berufliche Chance

Die ungelernte Elisabeth Volkenrath etwa sah einen vierwöchigen Kurs zur KZ-Aufseherin als berufliche Chance. Sie nutzte ihre Stellung zur brutalen Machtausübung – bevor sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen eingesetzt wurde, entschied sie im KZ Auschwitz-Birkenau darüber, welche Häftlinge in die Gaskammer geschickt wurden. Herbert Papst war Wachmann im Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen. Aus seinem Brief von 1941 spricht Menschenverachtung: „Es ist wirklich nicht schade um diese Untermenschen.“

Es waren nicht nur Menschen ohne Berufsausbildung oder mit einfachen Schulabschlüssen, die sich an dem Todessystem beteiligten – das zeigt das Beispiel von Paul Jacobshagen, Jahrgang 1895. Er war Pastor in Bad Lauterberg und ab 1934 bei den Deutschen Christen aktiv, die die Politik der Nationalsozialisten unterstützten. Von April 1941 bis Juni 1942 war Jacobshagen stellvertretender Kommandant im Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen, in dem fast 20 000 sowjetische Soldaten unter unmenschlichen Bedingungen starben. In der Ausstellung sind Fotos von Jacobshagen auf dem Lagergelände zu sehen. Sie zeigen ihn in Uniform mit Untergebenen und seinem Vorgesetzten.

Zudem werden Aussagen von Jacobshagen in einer Befragung durch die Staatsanwaltschaft Hannover aus dem Jahr 1966 präsentiert. Darin schildert er, wie sowjetische Kriegsgefangene nach ihrem Eintreffen von SS-Offizieren ausgesondert wurden – was dann mit ihnen geschah, habe er nicht gewusst. Jacobshagen beruft sich auf Befehl und Gehorsam, zudem wird in seinen Aussagen Gleichgültigkeit und Schuldabwehr deutlich.

Wie wird man nicht zum Täter?

In den Zitaten zeigen sich Rassismus, Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft als Antriebsfeder, aber auch Gleichgültigkeit, Gruppendruck und die Aussicht auf Geld und Karriere. Außerdem musste sich nur eine Minderheit der KZ-Wachmannschaften und ihrer Leitung nach dem Krieg vor Gericht verantworten.

„Es braucht eine Auseinandersetzung mit den Tätern, um mehr zu verstehen, wie es zu diesen Taten kommen konnte“, sagt Elke Gryglewski, die Leiterin der Gedenkstätte. Die Beschäftigung mit den Tätern habe erst in den 90er-Jahren stärker eingesetzt. In Bergen-Belsen stehen in der Dauerausstellung die Opfer im Mittelpunkt, über die Verantwortlichen erfährt man dort bislang wenig. Das soll sich nun ändern.

Am Ende wird der Blick auf die Gegenwart gelenkt und gefragt: Was hilft Menschen, nicht zu Tätern zu werden? Welche Regeln brauchen Institutionen, damit sie sich nicht an Verbrechen beteiligen?

„Ein Tatort: Bergen-Belsen“ läuft bis 15. Dezember in der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Kontakt für Aussteller: Till.Amelung@stiftung-ng.de