Es war ein echter Politkrimi in Berlin. Lange musste Friedrich Merz zittern. Aber am Dienstagnachmittag wählten ihn schließlich die Bundestagsabgeordneten mit der erforderlichen Mehrheit ins Amt des Bundeskanzlers.
Für Friedrich Merz (CDU) dürfte es ein schwarzer Tag in seiner politischen Karriere gewesen sein. Als erster Kanzler fiel er am Dienstag im ersten Wahlgang durch, ein bislang einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik. Es fehlten mit 310 Ja-Stimmen sechs Stimmen zur Kanzlermehrheit. Erst im zweiten Wahlkampf erreichte er mit 325 Ja-Stimmen das notwendige Quorum und ist nun der zehnte Bundeskanzler der Bundesrepublik. Merz, der selbstbewusste, konservative und ehrgeizige Sauerländer, ist an seinem Ziel angekommen. Als sechster CDU-Kanzler.
Merz weiß, dass die Erwartungen an ihn und die neue Regierung enorm sind – ohne Vorschusslorbeeren und mit einer starken AfD-Opposition im Nacken. “Es war insgesamt und ist bis heute keine Euphorie”, sagte er am Montag, als die Parteispitzen den Koalitionsvertrag unterschrieben, mit Blick auf die künftige Regierung. Daher strebe er eine “Arbeitskoalition” an – stabil und handlungsfähig. Denn, so heißt es nicht nur in seiner Partei: Es muss klappen.
Merz ist nicht Angela Merkel. Auch weil beide zu Beginn der 2000er Jahre den Spitzenplatz in ihrer Partei anstrebten, den Merkel schließlich eroberte, wurden sie keine Freunde. Während Merkel Erfahrungen aus der DDR mitbrachte und als bodenständig galt, verkörpert Merz für viele das Gegenteil. Er hat eine erfolgreiche Anwaltskarriere hingelegt, nach eigenen Angaben Millionen beim Finanzriesen Blackrock und in anderen Aufsichtsräten verdient und fliegt als leidenschaftlicher Pilot auch mit dem Privatjet zu semi-privaten Veranstaltungen wie Politiker-Hochzeiten.
Geboren wurde Merz am 11. November 1955 in Brilon im Sauerland, wo er aufwuchs und zur Schule ging. Bereits als Gymnasiast trat er in die CDU ein. 1975 machte er Abitur, gefolgt vom Wehrdienst und einem Jura-Studium in Bonn und Marburg, inklusive Mitgliedschaft in Deutschlands ältester katholischer Studentenverbindung in Bonn. Nach seinem Referendariat am Gericht arbeitete Merz als Anwalt. Derzeit ruhen seine Tätigkeit und Anwaltszulassung. Auch seinen Vorsitz im deutschen Blackrock-Aufsichtsrat gab er für die Politik 2020 wieder auf.
Seine politisch sichtbare Karriere begann er als Abgeordneter im EU-Parlament. 1994 zog er in den Bundestag ein und blieb dort zunächst bis 2009. Insbesondere in der Krisenzeit der CDU rund um die Aufarbeitung der Spendenaffäre von Ex-Kanzler Helmut Kohl war es Merz, der mit seiner größten Konkurrentin Merkel eine Art Reform-Duo bildete – für wenige Jahre.
Merz, Vater dreier erwachsener Kinder und inzwischen Großvater, machte sich über die Jahre einen Namen als Vertreter konservativer Werte etwa bei Fragen einer deutschen Leitkultur, Familienpolitik und Bioethik. Unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) sorgte er in der Opposition mit der geplanten “Steuererklärung auf dem Bierdeckel” für Furore.
Doch das Steuerkonzept hielt nicht. Als ihn dann Merkel auf den zweiten Platz verwies und den Fraktionsvorsitz für sich beanspruchte, zog Merz sich aus der Fraktions- und Parteiführung zurück. 2008 kündigte er sein Ausscheiden aus der Politik an. Wirklich weg war er nicht. Als Redner, Autor und in Talkshows blieb er politisch präsent – bis das Türchen zur Rückkehr in die Politik inklusive Kanzlerkandidatur wieder aufging.
Während Merz 2018 und Anfang 2021 ohne Erfolg nach dem Parteivorsitz griff, klappte es beim CDU-Mitgliederentscheid Ende 2021. Seit Anfang 2022 steht der Jurist an der Spitze der Partei. “Man muss nur lang genug kandidieren”, neckte CSU-Chef Markus Söder seinen “partner in crime”. Während dieses Duo scheinbar funktioniert, wohl besser als Söder und Merkel, wird die Zusammenarbeit mit dem künftigen Koalitionspartner herausfordernd. Er habe größten Respekt vor der Aufgabe, so Merz.
Vertrauen verspielt hat der CDU-Politiker in den letzten Parlamentssitzungen der vergangenen Wahlperiode. Der harte Migrationskurs der Union gipfelte in einem Antrag und Gesetzentwurf der Partei unter anderem zur Beschränkung des Familiennachzugs. Der Antrag passierte den Bundestag mit den Stimmen der AfD. Ein Tabubruch auch für die katholische und evangelische Kirche.