BIELEFELD – Widerstand gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit – dazu hat die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), Annette Kurschus, Christen aufgerufen. „Angesichts eines vielfach zerrissenen Kontinents und einer bis zum Zerreißen gespannten Gesellschaft gilt es, in den Riss zu treten“, sagte Kurschus in ihrem mündlichen Bericht vor der Landessynode der EKvW in Bielefeld-Bethel. Pluralität müsse wahrgenommen und ausgehalten werden; notfalls müsse um Gemeinsamkeit gestritten werden. „Deshalb müssen wir auch unbedingt Grenzen des Anstands und Sagbaren benennen und einhalten“, sagte die leitende Theologin der westfälischen Landeskirche.
Kurschus, die in ihrem Bericht die Spannung zwischen Fremdheit und Vertrauen in den Mittelpunkt stellte, konstatierte eine „breite Vertrauenskrise“ in der Gesellschaft wie auch in der Kirche. Es gebe ein Fremdeln mit den humanitären Grundlagen, den sozialen Grundannahmen und den demokratischen Grundkoordinaten der Gesellschaft. „Fast nichts versteht sich mehr von selbst“, sagte die Präses.
Im Phänomen der Migration schienen sich für viele Menschen die Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten ihres Lebens zu bündeln, erklärte Kurschus. Es sei jedoch falsch und gefährlich, Migration zur einzigen Herausforderung und Überlebensfrage der Gesellschaft zu machen. Die Hauptvorlage zum Thema Kirche und Migration, die der Synode vorgelegt werde, verschweige nicht die Probleme und Fragen rund um die Migration; sie stelle jedoch auch Positives heraus. Dazu gehöre eine Vereinbarung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit dem Bundesinnenministerium, die besonders verletzlichen Menschen eine sichere Einreise nach Deutschland ermöglichen soll. Die westfälische Landeskirche sei dabei ein wesentlicher Projektpartner.
Auch für die Kirche und den Glauben seien Fremdheit und Vertrauen „hochaktuelle Begriffe“. Innerhalb der Kirche diagnostizierte Kurschus ein gestörtes Vertrauen etwa in den Spannungen zwischen den verschiedenen kirchlichen Berufsgruppen und zwischen den verschiedenen Leitungsebenen von Gemeinden, Kirchenkreisen und Landeskirche.
Nach außen habe die Kirche besonders viel Vertrauen durch die Frage des sexuellen Missbrauchs verloren. „Die Erschütterungen und der massive Verlust von Vertrauen, die durch sexualisierte Gewalt entstehen, sind zuerst für die betroffenen Menschen und deren Familien und dann auch für die Kirche als ,Vertrauensraum‘ ein Schaden mit verheerenden Wirkungen“, so die Präses. Auch in der westfälischen Kirche müsse bei diesem Problem noch aufmerksamer hingeschaut und noch konsequenter gehandelt werden, sagte Kurschus unter dem Beifall der Synodalen.
Die westfälische Präses erinnerte abschließend daran, dass es „zuerst und zuletzt“ Gott selbst sei, der „uns in seinem Sohn Jesus Christus zu seinen Nächsten macht und uns sein göttliches Vertrauen entgegenbringt“. Die Kirche könne ihren Auftrag erfüllen, indem sie ein „Netz von Erinnerungs- und Vertrauensorten ist und bleibt und immer neu wird“. Dazu müsse sie sich aufmachen, sich bewegen und sich öffnen, sagte Kurschus.
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Fremdheit und Vertrauen
Präses Annette Kurschus sieht eine tiefe Verunsicherung in der Gesellschaft. Christlicher Glaube kann dagegenhalten – mit Gottvertrauen
