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Frei wie ein König

Froh zu sein, bedarf es wenig. Gedanken zum Predigttext am 6. Sonntag nach Trinitatis. Von Rainer Metzner, Pfarrer in Potsdam und Lehrbeauftragter für Neues Testament an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Predigttext am 6. Sonntag nach Trinitatis: Apostelgeschichte 8, 26–39 26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. 27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. 28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. 29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! 30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? 31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. 32 Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8): „Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. 33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.“ 34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? 35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. 36-37 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? 38 Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. 39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.

Von Rainer Metzner

Thema dieses Sonntages ist die Taufe. Lesungen und Wochenlied sind ganz darauf abgestimmt. Der Predigttext erzählt von der Taufe eines Reisenden. Dieser ist ein dunkelhäutiger Fremder, der aus dem nördlicheren, damals als Äthiopien bezeichneten Sudan stammt. Er ist ein Eunuch (so wörtlich statt Kämmerer), das heißt ein seiner Zeugungsfähigkeit beraubter Mann. Eunuchen (in der Regel Sklaven), heute auch Nullos genannt, wurden verachtet und verspottet: Verschnittene, halbe Männer, Weichlinge! Dennoch gelang es einigen unter ihnen, höhere Stellungen zu erlangen. Der Äthiopier diente am Hof seiner Königin als Schatzmeister. Für solche Aufgaben waren Kastraten geeignet, weil sie ihr Amt nicht zur Versorgung von Kindern und Enkeln missbrauchen konnten.

Der Äthiopier befindet sich auf der Rückreise von einer Wallfahrt nach Jerusalem. Er gehörte zu den gottesfürchtigen Heiden, die sich zum jüdischen Gott bekannten, ohne vollständig zum Judentum überzutreten. Als Kastrat war ihm dieser Schritt nicht erlaubt. Interessiert liest er laut (wie damals üblich) in der Schriftrolle des Propheten Jesaja. Lesen konnten nur die wenigsten. Jedoch versteht er nicht, was er liest. Er braucht Anleitung.

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