Hass und Hetze gegen Politiker nehmen seit Jahren zu; zuletzt erklärte der sächsische AfD-Verbotsbefürworter Marco Wanderwitz deshalb seinen Rückzug aus der Politik. Für Psychoanalytiker Pioch ein Alarmsignal.
Wenn sich Politiker wegen Anfeindungen von ihrem Amt zurückziehen, kann das nach Aussage von Eckehard Pioch, Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, ein “verständlicher und gesunder Schutz sein”. In der Vergangenheit hatten vermehrt Politiker ihren Rückzug erklärt, zuletzt der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz. Wanderwitz begründete das damit, dass er seine Familie und sich körperlich wie seelisch schützen müsse. Der CDU-Politiker hat sich unter anderem für ein Verbot der AfD eingesetzt.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe, sieht Anfeindungen gegen Politiker mit großer Sorge, wie er jüngst im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärte. “Immer häufiger werden Politikerinnen und Politiker Opfer von Hass, Hetze und auch von konkreten Bedrohungen und Angriffen”, sagte Lewe. Gerade extremistische Kräfte würden ganz bewusst auf Polarisierung und das Diffamieren des politischen Gegners setzen.
Psychoanalytiker Pioch sieht die Gesellschaft gefragt. “Es ist Zeit, sich für eine andere politische Kultur einzusetzen. Es muss stärker geächtet werden, wenn Menschen bepöbelt und beleidigt werden.” Es sei die Aufgabe der Gesellschaft, diese Menschen nicht allein zu lassen: “Es geht nicht ohne die, die sich politisch engagieren.” Wenn Menschen aus diesen Gründen die Politik verließen, wirke das nicht mehr einladend, sich selbst politisch zu engagieren.
Wanderwitz hatte beklagt, dass es die Zivilgesellschaft nicht geschafft habe, Abgeordneten den Rücken zu stärken. Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU), Wanderwitz’ Partnerin, hatte bereits im Sommer mitgeteilt, sich aus der Politik zurückzuziehen, weil “gelogen, diskreditiert, gehetzt” würde. Für Empörung sorgte im Frühjahr der Angriff auf den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke, der beim Plakatieren in Dresden krankenhausreif geschlagen wurde.
Pioch zufolge fallen die Anfeindungen und Rücktritte in eine Zeit, die geprägt ist von Unsicherheiten: Pandemie, Kriege und Klimakrise nennt der Psychoanalytiker als Stichworte. “In der Tiefe der Seele macht das etwas mit Menschen”, so Pioch. “Sie werden ängstlich und misstrauisch.” Es entstünde eine Grundstimmung von Feindseligkeit, die dann anderen zugeschrieben werde. So entwickelten sich Zerrbilder, denen Politiker besonders ausgesetzt seien.
“Politiker werden als machtvolle Akteure erlebt, die einem zum Beispiel die Freiheit beschneiden wollen. Das löst Gefühle von Wut und Empörung aus, sie sich verstärken durch Filterblasen im Internet, in denen man sich mit keiner abweichenden Sichtweise mehr auseinandersetzen muss.” So entstehe ein Klima der Dauererregung, das auch Politiker abbekämen.