Wurde die Syphilis Ende des 15. Jahrhunderts aus Amerika nach Europa eingeschleppt? Oder war der Erreger hier bereits verbreitet? Leipziger Forscher haben neue Erkenntnisse zu einer alten Kontroverse.
Jahrhundertelang war sie eine der Geißeln der Menschheit. Wie zuletzt Aids, wurde die Syphilis vielfach als Strafe Gottes für sündiges Sexualverhalten interpretiert. Die Angst vor der “Lustseuche” sickerte wie Gift in die zwischenmenschlichen Beziehungen.
Jetzt sorgt ein Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig für die Klärung einer langjährigen Kontroverse zum Ursprung der Infektionskrankheit. An genetischen Spuren von Skeletten wiesen die Wissenschaftler nach, dass der Syphiliserreger schon Jahrhunderte vor Kolumbus in Amerika verbreitet war, heißt es in einem Artikel für das Fachmagazin “Nature”. Die Seuche dürfte dann von den Spaniern nach Europa gebracht worden sein.
Lange gab es kein Entrinnen vor den Folgen der sexuell übertragbaren Infektionskrankheit: Betroffene erlitten schwere körperliche und geistige Schäden; die Sterblichkeit blieb dabei eher gering. Der Humanist Erasmus von Rotterdam beschrieb im 16. Jahrhundert den Zustand der Syphilis-Kranken: Sie kämen einher “mit einer stumpfen Nasen, das eine Bein nach sich schleppend, mit grindigen Händen, stinkendem Atem, kranken Augen und verbundenem Kopf, Eiter aus Nase und Ohren”. Zu den Opfern zählten Könige, Kleriker und Künstler, darunter Chopin, Casanova, Heinrich Heine, Bayernkönig Ludwig II., Papst Alexander VI. oder Zar Peter der Große.
Verantwortlich ist das Bakterium Treponema pallidum, das sich über Jahre im gesamten Körper verbreitet, Organe und im letzten Stadium auch die Nerven befällt. Demenz und Wahnsinn können die Folge sein. Bei gravierenden neurologischen Störungen führt die Syphilis auch zum Tod. Erst seit der Entwicklung der Antibiotika ist Syphilis heilbar. Weiterhin aber sind die Erkrankungszahlen hoch: Für 2022 schätzt die Weltgesundheitsorganisation die Zahl der Infizierten auf acht Millionen. In Deutschland steigen die Zahlen seit einem Jahrzehnt beständig an: Fast 8.500 Ansteckungen registrierte das Robert-Koch-Institut 2023, mehr als viermal so viele wie 2001.
Lange lag der Ursprung der Krankheit im Dunkeln: Die Syphilis wurde vielfach als “Morbus Gallicus” bezeichnet, die “französische Krankheit”, in Frankreich selbst aber als “Mal de Naples” – “Krankheit von Neapel”, weil sie dort 1494 erstmals massenhaft auftrat – verbreitet während eines Feldzugs des französischen Königs. Durchgesetzt hat sich schließlich der Begriff Syphilis, der auf eine mythologische Geschichte vom Schweinehirten Syphilos zurückgeht, der den Sonnengott lästert.
Zwei Theorien zur Herkunft der Krankheit lagen bislang im Clinch: Viele Experten glauben, dass die Geschichte der Syphilis in Europa lange vor Kolumbus begann. Skelettreste aus dem frühen 15. Jahrhundert, also vor der Entdeckung Amerikas, die in den vergangenen Jahrzehnten in Europa gefunden wurden, wiesen genetische Spuren eines ähnlichen Erregers sowie Verformungen von Knochen auf, die mit einer Syphilis zu tun gehabt haben könnten.
Aber dabei könnte es sich auch um andere Krankheiten gehandelt haben, die ähnliche Spuren hinterlassen, sagt Kirsten Bos, Gruppenleiterin in der Abteilung Molekulare Paläopathologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen haben nun an alten Skelettresten aus Nord- und Südamerika aus der Zeit vor 1492 Spuren des Syphilis-Erregers nachgewiesen. Mit modernsten Methoden gelang es dem Team, aus tausenden Proben fünf alte Genome von Syphilis und verwandten Erregern aus Mexiko, Chile, Peru und Argentinien zu rekonstruieren und zu analysieren.
Das Ergebnis: Amerika war schon lange vor der Ankunft von Kolumbus eine Drehscheibe für eine Vielfalt dieser Krankheitsgruppe. “Die Daten zeigen eindeutig, dass die Syphilis und ihre bekannten Verwandten ihren Ursprung in Amerika haben, und ihre Einschleppung nach Europa ab dem späten 15. Jahrhundert stimmt mit diesen Daten überein”, analysiert Bos. Die Europäer sorgten dann im Zuge von Kolonialismus und Sklavenhandel für eine globale Ausbreitung und genetische Veränderungen des Erregers.