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Familien im Blick?

Das Thema „Familie“ eignet sich hervorragend, um auf Stimmenfang zu gehen. Wie sich Rechtspopulisten als Familienschützer ausgeben – ein genauer Blick lohnt sich

Egal, ob sie es so erlebt haben oder es schmerzlich vermissten und deshalb ersehnen: Für viele Menschen bedeutet Familie Geborgenheit, Angenommensein. Und Kinder: Sie brauchen Schutz und lösen in uns unmittelbar Schutzreflexe aus – und das ist gut so.
Kein anderes Themenfeld berührt so tief und radikal wie Kinder und Familie. Kein anderes eignet sich daher für Rechtspopulisten besser, um Menschen emotional zu erreichen und politisch um die Gunst der bürgerlichen Mitte zu buhlen. Wer sich diese Themen auf die Fahnen schreibt, erscheint auf einmal zahm und bürgerlich. Mit Absicht: Es geht darum, christliche Milieus zu entern und neue Wählerschichten für explizit autoritäre Politikstile zu gewinnen.
Wer allerdings genau hinhört, bemerkt rasch, dass rechtspopulistische „Familienschützer“ vor allem gegen etwas sind: gegen Geschlechtergerechtigkeit, gegen das Aufbrechen von Rollenklischees, gegen Menschen, die alternative Familienmodelle leben. Und sehr direkt gegen homo-, bi-, trans- und intersexuelle Menschen, denen die Gleichwertigkeit durch diskriminierende politische Forderungen abgesprochen wird. In Internetforen, auch in sich christlich nennenden, reicht die Abwertung Andersdenkender bis zu Hass.
So bürgerlich sich rechte „Familienschützer“ geben, so deutlich finden sich fließende Übergänge bis ins verfassungsfeindliche Lager: An der „Demo für alle“ beteiligten sich, willkommen geheißen von AfD-Funktionären, Gruppen der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Und die Demos der „Besorgten Eltern“ bevölkerten Mitglieder des NPD-nahen russlanddeutschen Arminiusbundes.
Um die Gegenseite schlechtzumachen und Menschen zu manipulieren, ist Rechtspopulist*innen fast jedes Mittel recht – auch die Lüge. Wenn sie von „Gender-Ideologen“ munkeln, die einen „neuen Menschen schaffen“ wollten, von einem „Gender-Totalitarismus“, „schlimmer als der Nationalsozialismus“, dann erschaffen sie rhetorisch ein Schreckgespenst, das tatsächlich gar nicht existiert.
Wo Diskriminierung und Abwertung Anderslebender politisch gewollt ist, wo Lügen zur politischen Sprache gehören und es ausdrückliche Sympathiebekundungen für Verfassungsfeinde gibt, ist auch von einem Wahlprogramm nicht viel zu erwarten. Entgegen aller Rhetorik präsentiert die AfD keine familienfreundlichen Konzepte, sondern befördert mit autoritärem Politikverständnis die Abschaffung des Sozialstaats und die Privatisierung der Lebensrisiken. Die Familie soll privat auffangen, was der gewünschte „schlanke Staat“ an Gerechtigkeit dann nicht mehr sicherzustellen vermag. „Familie statt Sozialstaat“ wäre das passende Motto dafür.

Dr. Sonja Strube ist Privatdozentin am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück (Schwerpunkte: Biblische und Praktische Theologie). Ein ausführlicher Aufsatz der Autorin zum Thema „Rechtspopulismus“ findet sich in: Margit Eckholt (Hg.), Gender studieren. Lernprozess für Theologie und Kirche, Ostfildern 2016.