Artikel teilen:

Expertin: So schafft Social Media neue Formen der Aggressivität

Likes für Hass – Demokratie unter Druck: Social Media macht laut einer Freiburger Wissenschaftlerin Aggression salonfähiger – und trifft selbst Feuerwehrleute. Doch die Gesellschaft könnte dem Trend etwas entgegensetzen.

Durch Social Media erfährt die Gesellschaft in Deutschland nach Erkenntnissen einer Psychologieprofessorin völlig neue Möglichkeiten aggressiven Verhaltens. “Momentan erleben wir unsere Gesellschaft auf jeden Fall aggressiv”, sagte Andrea Kiesel von der Universität Freiburg am Donnerstagabend dem Südwestrundfunk. Die allgemeine Stimmung werde aggressiver “als vor 10, 15 Jahren” wahrgenommen. Es erscheine als unverständlich, wenn Akteure im Dienst der Allgemeinheit verstärkt angegriffen würden. “Dass diese Personen oder Gruppen jetzt bedroht werden – teilweise auch die Familien -, das ist in unserer Gesellschaft beziehungsweise in unserem Kulturkreis neu”, sagte Kiesel.

“Wir haben jetzt eine Extremisierung, die auch in der politischen Landschaft dahin geht, dass der demokratische Kompromiss nicht mehr von allen als ein Ziel der Kommunikation oder der Debatte erlebt wird und auch der Ton hat sich verschärft”, beschreibt sie Veränderungen der vergangenen Jahre. Die Professorin hat untersucht, welche Gruppen besonders von Angriffen im Internet betroffen sind. Sie spricht von klassischen potenziellen Opfern.

“Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderung, zum Teil auch Ältere, und auch gesellschaftlich exponierte Personen”, so Kiesel. Eher verwunderlich seien Aggressionen gegen Feuerwehrleute, Sanitäter oder auch Paketzusteller erleben, “weil das eigentlich eine Gruppe ist, die wenig anfällig dafür war”. Zurückzuführen sei dies oft auf Internet-Plattformen wie Facebook und Co.

“Wir erleben jetzt durch Social Media ganz andere Möglichkeiten, sich aggressiv zu verhalten, ohne direkt Feedback oder Konsequenzen zu bekommen”, beschrieb sie. Dort entfalle vielfach Widerspruch oder Korrektur, die in der Vergangenheit im direkten Austausch gängig gewesen sei. Im Gegenteil würden in digitalen Foren, Diffamierungen eher noch als positives Feedback wahrgenommen.

Mit Verweis auf Erkenntnisse aus der Lerntheorie, spricht Kiesel von Verhaltensweisen, die im Internet bestärkt und daher häufiger auftreten würden. Wohingegen Verhalten, das bestraft oder ignoriert werden würde, in der Folge seltener wäre. “Insofern treten hier ganz normale Lernmechanismen ein”, erklärte sie.

Die Wissenschaftlerin sieht die Politik in besonderer Verantwortung. Aggressivere Reden etwa im Bundestag können dazu führen, dass in Medien aggressiveres Verhalten als vermeintlich erfolgreich erlebt werde. “Vielleicht führen sie auch auf Social Media zu mehr Klicks, was ja auch heutzutage ein einfaches Erfolgskriterium ist.”

Kiesel empfiehlt für eine gesellschaftliche Befriedung daher, “Personen, die sich aggressiv verhalten nach Möglichkeit ignorieren”. Medien könnten politischen Akteuren, die eine “gute Debattenkultur pflegen viel mehr Präsenz” einräumen als destruktiveren.