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Experte stellt Studie zu postkolonialem Antisemitismus vor

Von Juden als Unterdrücker sprechen und überzeugt sein, dass Israel nur gegründet wurde, weil Europa sich schuldig fühlte. Ein Religionssoziologe nennt das “postkolonialen Antisemitismus” – und liefert Zahlen.

Israel als Kolonialmacht und Juden an sich als Unterdrücker? Eine solche Einstellung macht ein Religionssoziologe bei rund einem Siebtel der Gesellschaft in Deutschland aus. Ein derartiger postkolonialer Antisemitismus erfahre zudem weitere Mobilisierung, so der Religionswissenschaftler Gerhard Pickel bei einer Fachtagung über Antisemitismus und politischen Islamismus am Donnerstag in Münster.

Pickel bezog sich auf eine Studie von 2024, in der erstmals postkolonialer Antisemitismus erhoben wurde. Dessen Anhänger seien zudem davon überzeugt, dass Israel nur gegründet wurde, damit Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg kein schlechtes Gewissen haben müssten.

Ein weiteres Merkmal dieser Haltung sei es, den Nahostkonflikt als Kampf eines weißem Kolonialismus gegen unterdrückte Minderheiten sowie Israel als kolonialistischen Nationalstaat zu sehen. Dass Jüdinnen und Juden ebenfalls Opfer von Diskriminierung sind, komme in einem derartigen Weltbild nicht vor, so Pickel. Drittes Merkmal eines postkolonialen Antisemitismus sei die Zustimmung zu der Aussage, dass “der deutsche Schuldkomplex den Freiheitskampf der Palästinenser behindert”.

Etwa 15 Prozent der Bevölkerung, so Pickel, stimmten allen drei beschriebenen Aussagen zu, etwa 30 Prozent wenigstens einer dieser Positionen. Inwieweit Menschen mit solchen Einstellungen gewaltbereit seien, lasse sich auf Grundlage der vorliegenden Zahlen nicht sagen.

Die Tagung in Münster unter der Federführung der Forschungsstelle “Islam und Politik” sowie des Exzellenzclusters “Religion und Politik” widmet sich dem Thema Antisemitismus, der seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel und dem Krieg im Gazastreifen zugenommen hat. Im vergangenen Jahr ging es bei der Tagung um das Verhältnis von politischem Islamismus und autoritärem Nationalismus.