Der Psychologe Christian Montag sieht in der übermäßigen Nutzung des Sozialen Netzwerks Tiktok eine Gefahr für junge Menschen. „Social-Media-Applikationen entfalten zweifelsohne einen starken Sog für sehr junge Nutzende“, sagte der Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anderseits stellten Soziale Medien heute einen zentralen Bestandteil der Jugendkultur dar und begleiteten junge Menschen bei der Identitätsfindung. „Dieser Trend wird meines Erachtens anhalten“, analysierte er. „Richtig ist aber auch, dass das Social-Media-Zeitalter sehr schnelllebig ist. Es ist sehr schwer, langfristige Trends vorherzusagen.“
Warum Tiktok ein höheres Suchtpotenzial als andere Social-Media-Plattformen aufweist, ist laut Montag aktuell aufgrund fehlenden Zugangs zu entsprechenden Daten schwer empirisch zu erforschen. „Von außen betrachtet scheint klar zu sein, dass die Darstellung der Inhalte im Hochformat auf Tiktok für das Smartphone-Zeitalter perfektioniert zu sein scheint“, erklärte der Psychologe. „Weiterhin lösen die sehr kurzen Videos alle paar Sekunden immer wieder Reaktionen in unserem Gehirn hervor, die die Nutzenden bei der Stange halten.“ Der Algorithmus, der Inhalte für die Nutzenden heraussucht, funktioniere dabei besonders erfolgreich.
Laut Montag gibt es nur sehr wenige neurowissenschaftliche Studien, die sich mit der Wirkweise von Social Media auf das Gehirn beschäftigt haben. „Es ist klar, dass es bei Tiktok, beziehungsweise allgemein bei den Sozialen Medien, zu exzessiven Verhaltensmustern kommen kann, die suchtähnliche Merkmale aufweisen. Ich denke, dass in diesem Kontext gerade das Kurzvideoformat erwähnenswert ist, welches über neuartige Inhalte das Gehirn immer wieder stimuliert“, sagte Montag.
Dennoch ist Montags Worten zufolge eine Tiktok-Sucht nicht offiziell von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt. „Dies ist lediglich für Gaming und Gambling der Fall“, sagte er. “Es ist jedoch Bestandteil aktueller Debatten, ob eine Tiktok-Übernutzung, beziehungsweise von Social Media generell, einer eigenen Suchtkategorie bedarf. Sollte eine solche Kategorie kommen, wären für eine Diagnose wichtig, ob Tiktok der zentrale Lebensinhalt einer Person sei, und ob sie die Kontrolle über ihre Tiktok-Nutzung verloren habe.
Der Experte hält verschiedene Maßnahmen für geeignet, um die Gefahren der App einzudämmen. „Wichtig wäre es zunächst, funktionierende Alterschecks beim Onboarden auf die Plattform einzuführen. Weiterhin brauchen wir Regulierung, sodass die Plattformen bezüglich der gezeigten Inhalte und auch im Hinblick auf das Plattform-Design mehr in die Verantwortung genommen werden.“