Die EU-Kommission will junge Menschen mit Alterskontrollen im Netz vor schädlichen Inhalten schützen. Doch Experten warnen vor Folgen für Grundrechte – und stellen die Wirksamkeit in Frage.
Gewalt oder Online-Glücksspiel, Informationen zu Suizid oder Pornos – viele Inhalte im Internet können Kindern und Jugendlichen schaden. Dass gerade auf X – ehemals Twitter – immer weniger Mitarbeiter, sogenannte Content-Moderatoren, die hochgeladenen Inhalte prüfen und gegebenenfalls sperren und auch Meta zumindest in den USA die Moderation von Inhalten drastisch zurückfährt, verschärft das Problem.
Nutzer von Glücksspiel-Websites oder pornografischen Videoportalen müssen angeben, ob sie schon 18 Jahre alt sind. Doch diese Form der Alterskontrolle ist leicht zu umgehen. Daher fordern Jugendschutzverbände eine digitale Altersverifikation, um Minderjährige technisch vom Zugriff auf potenziell schädliche Inhalte auszuschließen.
Die Europäische Union hat diese Forderungen in mehreren Gesetzen aufgegriffen; seit gut einem Jahr gilt etwa das Digitale-Dienste-Gesetz (DSA). Die Alterskontrolle funktioniert wie eine Schranke, durch die man nur hindurch gelangt, wenn man belegen kann, dass man alt genug ist.
Das Problem: Die geplanten Alterskontrollen betreffen nicht nur Minderjährige, sondern alle Nutzer und Nutzerinnen von Online-Diensten. Sie könnten also ganz grundlegend ändern, wie Menschen das Internet nutzen und sich darin bewegen. Denn sie setzen voraus, dass Schranken aufgebaut werden, wo vorher keine waren, und dass Betreiber die Zugänge regulieren. Damit betreffen sie gleich mehrere digitale Grundrechte, etwa das Recht auf Information, auf Privatsphäre und auf die ohnehin umstrittene Anonymität im Netz.
Ein gutes System zur Altersverifikation müsse “datensparsam sein, niedrigschwellig in der Nutzung und transparent über die technischen Hintergründe” aufklären, sagt Elena Frense, Fachreferentin für Medien und Digitales beim Deutschen Kinderschutzbund – und das “auch in kindgerechter Sprache”. Frense begrüßt die Vorgaben der EU, sagt aber auch, dass es auf dem Markt bislang kein Produkt gebe, das diese Kriterien wirklich erfüllt.
Alle verfügbaren Lösungen der Online-Alterskontrolle greifen in Grundrechte ein. Um ihr Alter nachzuweisen, müssen Nutzerinnen und Nutzer etwa eine Einverständniserklärung unterzeichnen oder die Daten einer Kreditkarte angeben. Weitere Methoden sind der Anruf bei einer gebührenfreien Nummer oder eine Verbindung per Videokonferenz. In manchen Fällen reicht es, eine Kopie des amtlichen Ausweises vorzulegen. Einige Betreiber setzen auf wissensbasierte Fragen oder verwenden Technologie zur Gesichtserkennung, um das Alter einer Person zu schätzen.
Auf Anfrage erklärt die Europäische Kommission, dass EU-Bürger ihr Alter online künftig mithilfe der eID, der Europäischen Digitalen Identität, nachweisen sollen. Die Idee ist, dass Bürger Ausweisdokumente aus ihrer digitalen Brieftasche, der sogenannten EUDI-Wallet, speichern und per Mausklick auf ihrem Telefon teilen können. Diese soll allerdings erst Ende 2026 zur Verfügung stehen. Derzeit arbeitet die Kommission nach eigenen Angaben an einer Übergangslösung, um die Alterskontrolle schon jetzt flächendeckend einzuführen. Ziel sei es, das Alter überprüfen zu können, ohne weitere personenbezogene Daten zu erfassen.
Die Pläne der Kommission hält Frense vom Kinderschutzbund für sinnvoll. Sie fordert allerdings weitere Verifizierungsmöglichkeiten, um nicht Personen von digitaler Teilhabe auszuschließen, die keine Ausweispapiere haben. Denn auch wenn die Nutzung der digitalen Brieftasche freiwillig ist: Wenn Online-Angebote sie als einziges Mittel zur Altersverifikation akzeptieren, kommen die Bürger kaum daran vorbei.
Die eine technische Lösung zur grundrechtskonformen Altersverifikation könne es nie geben, sagt auch der Brüsseler IT-Sicherheitsforscher Jan Tobias Mühlberg. Es müsse eine Reihe an Lösungen zur Verfügung stehen, da jede einzelne immer Menschen ausschließe: Bei der Gesichtserkennung seien alle ausgeschlossen, die keine hochauflösende Kamera hätten. Auch Menschen, die nicht lesen oder schreiben können, stießen an Barrieren. “Klar ist, dass hier gerade die Menschen als Nutzer von Online-Angeboten ausgeschlossen werden, für die gesellschaftliche Teilhabe sowieso schon schwierig ist.”
Insgesamt hält er die technische Lösung kaum für entscheidend. Wichtiger sei die Frage, “ob wir als Gesellschaft Alterskontrollen wirklich brauchen”, sagt Mühlberg. Er sieht einen hohen technischen Aufwand und gravierende Auswirkungen auf die Grundrechte aller Internetnutzer, während kaum abzuschätzen sei, wie viel Alterskontrollen am Ende bringen.
Für den Schutz von Minderjährigen sei es viel wirkungsvoller, sich auf die Diensteanbieter zu konzentrieren, wie das etwa die Datenschutzgrundverordnung und der DSA tun. Betreiber von Glücksspiel-Websites oder Social-Media-Plattformen etwa bereiten laut Mühlberg potenziell schädliche Inhalte nach einem suchterzeugenden Design auf. Das Problem betreffe die gesamte Gesellschaft, unabhängig vom Alter: “Denn Glücksspiel oder Desinformation in Sozialen Medien bedrohen unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.”
Eine weitere Bedrohung sieht das Open Technology Institute des liberalen US-Thinktanks New America im “chilling effect”. Nicht nur könnten Alterskontrollen potenziell Einzelne daran hindern, ihre Meinung online frei zu äußern und mit anderen in Kontakt zu treten, heißt es in einer Studie von April 2024. Vielmehr könnten sie auch eine Selbstzensur bewirken: Menschen könnten aufhören, nach bestimmten Inhalten zu suchen, weil sie sich beobachtet fühlen. Damit würden sie auf ihr Recht auf Information verzichten.