In Hamburg ist am Montag der Forschungsbericht „Jüdisches Leben und Alltag in Hamburg“ (LeAH) vorgestellt worden. Das Pilotprojekt nehme erstmals Formen und Verbreitung von Antisemitismus in Hamburg aus der Betroffenenperspektive in den Blick, teilte die Wissenschaftsbehörde mit. Demnach haben von 548 befragten Jüdinnen und Juden rund 77 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten antisemitische Vorfälle erlebt, von denen 55 Prozent strafrechtlich relevant seien, hieß es bei der Präsentation der Ergebnisse.
Die Befragten gaben an, dass es sich häufiger um verbale und psychologische Angriffe im Internet gehandelt habe als um körperliche Übergriffe. Die meisten Betroffenen verorteten ihre Erfahrungen in Hamburg. Lediglich 19 Prozent meldeten die antisemitischen Vorfälle der Polizei.
Dem Bericht zufolge stehen antisemitische Erfahrungen im Zusammenhang mit der Identifikation als jüdisch. Während sich Menschen, die keine Diskriminierung erlebt haben, in der Ausübung ihrer Religion kaum eingeschränkt (89 Prozent) fühlen, sei dies bei Betroffenen nur bei rund der Hälfte (49 Prozent) der Fall.
59 Prozent der betroffenen Befragten führten die antisemitische Diskriminierung auf die aktuelle Situation in Israel und Gaza zurück. Innerhalb dieser Gruppe verbergen rund 70 Prozent ihre jüdische Identität oder das öffentliche Tragen religiöser Symbole. Diejenigen, die einen Zusammenhang mit Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 sehen, fühlen sich im Vergleich zu vor zwölf Monaten deutlich unwohler als diejenigen, die darin keinen Zusammenhang sehen.
Neben direkten Folgen von Diskriminierung, wie etwa erhöhte kriminalitätsbezogene Furcht, Rückzug aus öffentlichen Räumen und psychischen Folgen, sind in dem Bericht auch indirekte Folgen dokumentiert, wie das verminderte Vertrauen in öffentliche Institutionen. Die Reaktionen von Mitmenschen auf antisemitische Vorfälle hätten einen wichtigen Einfluss auf das allgemeine Sicherheitsempfinden der Betroffenen, hieß es. Die Reaktionen der Hamburger Mitmenschen auf antisemitische Vorfälle bewerteten die Befragten als überwiegend unangemessen (49,9 Prozent).
Die Wissenschaftler fordern in dem Bericht Maßnahmen zur Erhöhung der Anzeigebereitschaft, um jüdisches Leben in Hamburg zu schützen. Eine weitere Maßnahme müsse sein, dass Schulen und Bildungseinrichtungen in der Prävention von Antisemitismus enger zusammenarbeiten.