Im Mittelalter hatte jedes Dorf seine eigene Uhrzeit. Seit 130 Jahren funktioniert Deutschland im einheitlichen Takt. Die Umstellung von Sommer- und Winterzeit bleibt umstritten.
5.30 Uhr aufstehen, Bus-Abfahrt um 7.52 Uhr und 18.30 Uhr beim Training – die Tage der Menschen heute sind exakt getaktet. Doch über Jahrhunderte war das komplett anders.
Ein Mensch, der im Mittelalter lebte, konnte den Zeitpunkt seines Arbeitsbeginns und seines Feierabends nur vage benennen: Er stand mit dem ersten Hahnenschrei auf und legte die Hacke zur Dämmerung in die Scheune zurück. Bis weit ins 19. Jahrhundert richteten sich Bauern, Arbeiter und Handwerker nach Sonnenstand, Klima, Wachstumsperioden der Natur oder nach der anfallenden Arbeit: Sie verrichteten ihr “Tagwerk” oder bestellten ihren “Morgen” Land.
Lediglich in Klöstern und an Adelshöfen wurden seit dem Mittelalter Sonnen-, Sand- und Wasseruhren verwendet, um den Takt für regelmäßiges Gebet und Arbeit einzuhalten. Die Städte übernahmen diese Praxis: Stundenglocken gaben etwa das Signal für das Öffnen und Schließen der Stadttore. Der Weg zur exakten Stunde begann ab dem 14. Jahrhundert, als sich mechanische Uhr- und Schlagwerke von Italien aus in ganz Europa verbreiteten. Fortan wusste jeder Städter, was “die Stunde geschlagen” hatte, wie lange er sein Handwerk ausüben durfte oder wann er zum Gottesdienst erscheinen musste.
Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte allerdings jeder Ort seine eigene Zeitzone, die sich am Stand der Sonne orientierte. Uhren an Kirchtürmen und kommunalen Glockentürmen gaben den Zeitrhythmus nur für die unmittelbare Umgebung vor. Ein Reisender konnte seine Taschenuhr also, je nachdem, ob er in westliche oder östliche Richtung reiste, alle 18 Kilometer um eine Minute vor- oder zurückstellen. Die Hauptstädte der deutschen Staaten beanspruchten dabei, den Takt für ihr Herrschaftsgebiet vorzugeben: In Bayern richtete man sich nach der “Münchener Ortszeit”, in Preußen seit 1848 nach der “Berliner Zeit”. Diese “Ungleichzeitigkeit” fiel kaum auf, da Reisen nur mit geringer Geschwindigkeit möglich war. Die meisten Menschen blieben zudem ihr Leben lang in ihrer Geburtsregion.
Der Bedarf nach einer synchronen Zeit für alle entstand erst ab dem 18. Jahrhundert, als Verkehr und Handel stark zunahmen. Zunächst war es die Post, die eine einheitliche Zeit brauchte. Aber vor allem mit dem Ausbau des europaweiten Eisenbahnnetzes wurde eine Synchronisierung der Zeit immer wichtiger. Zwischen 1840 und 1880 wurden in Deutschland mehr als 33.000 Kilometer Eisenbahnschienen verlegt.
Endgültig vom Rhythmus der Natur löste sich die Zeitrechnung dann in den Fabriken des beginnenden industriellen Zeitalters. Zeit wurde zum wirtschaftlichen Gut, das knapp, umkämpft und teuer war. Erst jetzt verbreiteten sich öffentliche Zeigeruhren mit Minuten- und Sekundenanzeige, mit denen sich die Zeit exakter unterteilen und berechnen ließ.
Eine globale Vereinheitlichung wurde erstmals 1884 angestrebt, als in Washington die Einteilung der Welt in 24 Zeitzonen beschlossen wurde. Für das Deutsche Reich trat am 1. April 1893 ein von Kaiser Wilhelm II. unterzeichnetes Gesetz in Kraft: “Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, verordnen im Namen des Reichs: Die gesetzliche Zeit in Deutschland ist die mittlere Sonnenzeit des 15. Längengrades östlich von Greenwich”, hieß es im Reichsgesetzblatt.
Der Krieg allerdings erwies sich weiterhin als Vater einer veränderten Zeitrechnung. Ab 1916 führte das Kaiserreich eine Sommerzeit ein, um das Tageslicht in Landwirtschaft und Rüstungsindustrie besser nutzen zu können. Auch im Zweiten Weltkrieg wurde die Sommerzeit 1940 wieder eingeführt.
Zwischen 1950 bis 1979 drehte Deutschland nicht an den Uhren. Doch schließlich veränderte die Ölkrise erneut den Takt: Durch eine bessere Nutzung des Tageslichts sollte Energie gespart werden. Weil Frankreich und andere europäische Staaten vorgeprescht waren, wurde am 6. April 1980 in beiden deutschen Staaten erneut die Sommerzeit eingeführt. Bis 1996 wurden die Regelungen in der EU vereinheitlicht. Seitdem stellt auch Deutschland die Uhren von Ende März bis Ende Oktober um.