Predigttext
14 Wir bitten euch, Brüder und Schwestern: Bringt die, die keine Regeln einhalten, auf den richtigen Weg, ermutigt, die in Angst leben, kümmert euch um die Schwachen, habt mit allen Geduld. 15 Passt auf, dass niemand Böses mit Bösem an anderen vergilt, sondern sucht immer das Gute untereinander und bei allen. 16 Freut euch immer, 17 hört nicht auf zu beten, 18 sagt Dank in jeder Lage, denn dies will Gott von euch in Christus Jesus. 19 Löscht die Geistkraft nicht aus, 20 verachtet Prophezeiungen nicht, 21 doch prüft alles und behaltet das Gute. 22 Von jeder Gestalt des Bösen haltet euch fern. 23 Gott selbst ist der Frieden und möge euch durch und durch heiligen, und ihr sollt an Geist, Seele und Körper unverletzt bewahrt bleiben, so dass nichts an euch auszusetzen ist bei der Ankunft Jesu Christi, dem wir gehören. 24 Gott hat euch berufen, ist treu und wird dies tun. Bibel in gerechter Sprache
Noch drei Wochen bis zur Bundestagswahl. Die Wahlplakate hängen schon seit Wochen, die Kandidatinnen und Kandidaten sind auf Wahlkampftour unterwegs im Land und in den TV- und Radio-Sendern. Wahlprogramme der Parteien sind seit dem frühen Sommer veröffentlicht, neben den umfangreichen Langfassungen haben die meisten Parteien auch kurze Zusammenfassungen ihrer Pläne veröffentlicht.
„Prüft alles und behaltet das Gute.“
Schon im Juni haben wir als Evangelische Frauenhilfe in Westfalen unsere Mitglieder und alle Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, sich an der Bundestagswahl zu beteiligen. Gleichzeitig haben wir einen Katalog von 22 Wahlprüfsteinen veröffentlicht und damit die politischen Forderungen vieler Organisationen zusammengetragen und uns ihnen angeschlossen.
„Prüft alles und behaltet das Gute.“
Die älteste Schrift des Neuen Testaments
Der Brief an die Gemeinde in Thessalonich, aus dem der Predigttext stammt, wurde gemäß Kapitel 1, 1 von Paulus, Silvanus und Timotheus verfasst. Er ist wahrscheinlich um das Jahr 50 n. Chr. entstanden und gilt als die älteste Schrift des Neuen Testaments.
Ist es zulässig, diesen biblischen Text mit unserer aktuellen politischen Situation in Verbindung zu bringen? Ich meine: Ja! Denn es ging Paulus in diesen Ermahnungen am Ende des Briefes um das Leben der Menschen in der Gemeinde in Thessalonich. Er selbst hatte diese Gemeinde vor nicht allzu langer Zeit gegründet. Er wusste, was es für die Menschen bedeutete, in dieser multikulturellen Hafenstadt ihren christlichen Glauben zu leben. Sie gehörten einer kleinen Minderheit an und das Bekenntnis zu diesem Glauben konnte im römischen Reich lebensgefährlich sein. Trotzdem sollen sie sich nicht nur um die Menschen in ihrer Gemeinde kümmern: „sondern sucht immer das Gute untereinander und bei allen.“ Dieser Auftrag ist heute so aktuell wie vor fast 2000 Jahren.
Aber was ist denn das Gute? Was sind die Prüfkriterien?
Die politischen Parteien bezeichnen ihre Wahlprogramme jeweils als gut und richtig; zum Teil setzen sie sich für gegensätzliche Ziele ein, zum Beispiel beim Klimaschutz oder den Menschenrechten. Bei komplexen Fragestellungen sind selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler häufig unterschiedlicher Meinung über den richtigen Weg. Wie sollen wir da in der Lage sein, alles zu prüfen und das Gute zu behalten?
Obwohl uns 2000 Jahre und mehr von den biblischen Zeiten trennen, sind viele Probleme heute genau so aktuell wie zur Zeit des Paulus: Damals wie heute stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit, nach Hunger und gerechter Verteilung, nach Chancengleichheit und Ausgrenzung, nach Politik, die dem Machterhalt oder dem Leben dient. Aus unserem Glauben heraus können und sollen wir Prüfkriterien auch für Wahlentscheidungen im Jahr 2021 entwickeln.
Der 14. Sonntag nach Trinitatis wird in vielen evangelischen Landeskirchen als „Sonntag zur gerechten Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche“ oder als „Miriamsonntag“ gefeiert. Er geht auf die ökumenische Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ zurück, die 1988 ausgerufen wurde. Damals wurde nach Wegen gesucht, nicht nur Frauen auf der ganzen Welt bei der Suche nach Gerechtigkeit zu helfen, sondern auch ihre Rolle innerhalb der Kirchen und in der Welt zu verdeutlichen. Heute sind wir auf diesem Weg schon ein großes Stück vorangekommen – hier in Deutschland, in unserer Kirche, aber auch in der Weltgemeinschaft. Doch dramatische Rückschläge wie derzeit in Afghanistan machen deutlich, dass wir in der Suche nach Gerechtigkeit nicht nachlassen dürfen, weder in unserer Kirche noch in der Gesellschaft.