Zabihullah Khunsada strahlt, als er Annelore Waterböhr sieht. „Meine süße Oma!“, sagt er, und die 82-Jährige drückt ihn zur Begrüßung. Sie arbeitet ehrenamtlich im Bielefelder Begegnungszentrum Pellahöhe, einer Altentagesstätte der Diakonie. Der 21-jährige Afghane Zabihullah kommt einmal die Woche als Sozialpraktikant hierher. Nicht nur Waterböhr freut sich, wenn er da ist.
„Kaffee oder Tee zum Kuchen?“, fragt Zabihullah lächelnd einen neuen Gast. Das Begegnungszentrum ist gut besucht. Er ist ein zupackender Typ, den viele nur „Can“ rufen – türkisch-persisch für „Die Seele“. Ende 2012 ist er aus dem afghanischen 500-Seelen-Dorf Rodat bei Dschalalabad allein nach Deutschland gekommen. Bielefeld ist seine neue Heimat.
„Das hier ist jetzt meine Familie“
Hier besucht er seit Herbst 2013 eine Sprachförderklasse am Berufskolleg am Tor 6. Er steuert einen Hauptschulabschluss an und nimmt seit Juni 2014 am Projekt „Soziale Jungs Bielefeld“ (SoJuBi) teil, wie drei seiner Mitschüler auch. Sie schnuppern für ein Jahr in ein weiblich dominiertes Berufsfeld hinein. Durch den wöchentlichen Einsatz an ihren Praktikumstellen vertiefen sie ihre Sprachkenntnisse – und den Kontakt zu ihrer neuen Heimat: „Das hier ist jetzt meine Familie“, sagt Zabihullah, der auch außerhalb seiner Dienstzeiten mal in der Pellahöhe vorbeikommt. Er hat Zeit für Gespräche und durch seine eigenen Erfahrungen viel Verständnis für die alten Leute. „Manche der Älteren hier haben auch keine Familie.“ Und sie wissen um Krieg, Flucht und Vertreibung – so wie er selbst.
Jetzt aber braucht ihn erstmal die 77-jährige Irmgard Flaig, die ehrenamtlich in Pellahöhe arbeitet. Der Bulli vom „Bielefelder Tisch“ steht mit Spenden vor der Tür. Zwei Dutzend Menschen warten. Zabihullah stellt kistenweise Obst, Gemüse und Lebensmittel auf. Als alles verteilt ist, reinigt und stapelt er die Kästen. „Das ist ein Netter, alle mögen ihn“, meint Flaig über den jungen Helfer, der jetzt eine Werkzeugkiste und einen Bohrer holt. In einem Büro soll ein Schließfach eingebaut werden. „Can, gibst du mir bitte Dübel und Schrauben“, fragt der 75-jährige Ehrenamtliche Manfred Lammert. Auch er findet nur lobende Worte: „Ein feiner Mensch, offen, hilfsbereit – er passt zu uns.“
„Ich komme gerne hierher“, sagt Zabihullah, „die Menschen geben mir Liebe und bringen mich zum Lachen“. Hier in Pellahöhe ist auch sein Wunsch gereift, Altenpfleger zu werden. Seine Freundin ist Auszubildende in der Altenpflege. Von ihr leiht er sich die Lehrbücher. „Ich lese darin und übersetze mir die Fachbegriffe“, erklärt er.
Menschen wie Zabihullah sind ein Geschenk für die Pflegeberufe. Denn bundesweit fehlen Fachkräfte. Nachwuchskräfte sind begehrt, durchaus auch männliche. „Wir wollen verstärkt Männer für Pflegeberufe gewinnen“, sagt Anja Zimmermann, Leiterin Europa und Migration im Johanneswerk, einem großen diakonischen Träger, „auch, weil die Zahl der pflegebedürftigen Männer steigt“. Das Johanneswerk hat deshalb mit dem Kompetenzzentrum für Technik – Diversity – Chancengleichheit an der Fachhochschule und der Universität Bielefeld das Projekt „Soziale Jungs Bielefeld“ ins Leben gerufen. Sechs „SoJuBis“ können zur Zeit pro Jahr in eine soziale Einrichtung des Johanneswerks vermittelt werden. „Ziel ist es, dass die jungen Männer eine Ausbildung in einem sozialen Bereich machen“, so Zimmermann, „SoJuBi soll Orientierung bieten und erste Kenntnisse vermitteln“.
Bei ihrem Praktikum stehen Zabihullah und seinen Mitschülern zwei Studierende als Mentoren zur Seite. Sie sind vom Kompetenzzentrum geschulte Ansprechpartner bei Fragen und Problemen – auch für die Einrichtungen. „Das Projekt ist bisher sehr erfolgreich, mit einem Wermutstropfen“, resümiert Anja Zimmermann, „wir hatten das breiter aufziehen wollen, mit mehr Teilnehmern. Dafür haben wir leider keine Finanzierungsmöglichkeiten gefunden.“
„Diese Arbeit mache ich mit dem Herzen“
Es sei aber ein guter Auftakt. Die ersten „Sozialen Jungs“ fühlten sich willkommen und akzeptiert. Und die Seniorinnen und Senioren freuten sich über jemanden, der Zeit zum Zuhören, für Gesellschaftsspiele oder Spaziergänge habe. „Ich habe viel von alten Menschen gelernt“, sagt Zabihullah, „das möchte ich zurückgeben. Diese Arbeit mache ich mit dem Herzen.“
Für den Afghanen läuft es gut. Seit Februar hat er eine Wohnung, alle bestärken ihn in seinen Zielen. Im Herbst 2015 werden seine Mitschüler und er ihr SoJuBi-Zertifikat erhalten. „Das ist eine gute Erfahrung. Die Jungs bekommen darüber auch mehr Zugang zu den Deutschen und der deutschen Kultur“, sagt Christian Barzen, Schulsozialarbeiter am Berufskolleg, „es wäre wunderbar, wenn das für die vier auch zu einem Ausbildungsplatz führen würde“.
Zabihullah Khunsada ist optimistisch, er fühlt sich wohl in Bielefeld. Der Wandspruch in der Pellahöhe trifft auf ihn zu: „Heimat ist da, wo Menschen sind, die ich mag und die mich mögen“.
Der Artikel wurde entnommen aus: Diakonie Magazin 1-2015.