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“Endlich ankommen” – ein verbreiteter und zwiespältiger Wunsch

Von der “Illusion des Ankommens” ist die Rede oder auch vom “Ankunftstrugschluss”. Beide Übersetzungen eines Fachbegriffs umschreiben das schale Gefühl, wenn beim Erreichen einer Wegmarke die Euphorie ausbleibt. Was tun?

Die erste Beziehung, das erste eigene Gehalt, das erste Kind: Mit vielen Erfahrungen verbindet sich ein bestimmtes Alter, eine Phase, in der viele Menschen dies typischerweise erleben. Wer eine Sprosse auf der Lebensleiter erreicht hat, schielt schon nach der nächsten. Doch was, wenn Menschen sich mit bestimmten dieser Ziele schwertun, wenn ein vermeintlicher Meilenstein nicht zu ihnen passt? Oder wenn das ersehnte Ziel erreicht wird, sich aber dennoch kein Glücksgefühl einstellt?

Der Schriftsteller Michael Nast beschreibt in seinem neuen Buch “Weil da irgendetwas fehlt” die Erfahrung, dass andere – etwa die eigenen Eltern – sein Leben als unvollständig empfinden: “Bis ich endlich der Frau begegne, mit der ich eine Familie gründe und ein Einfamilienhaus in einem Berliner Vorort beziehe. Bis das Provisorium zerfällt und sich endlich alles fügt.” Nast, der seit dem Bestseller “Generation Beziehungsunfähig” (2016) als Sprachrohr seiner Generation gilt, schreibt aber auch, dass er sich in seinem selbstgewählten Lebensentwurf durchaus wohlfühle.

Glücklich zu sein, wenn nur ein bestimmtes Ziel erst erreicht ist – das stellt sich ohnehin häufig als Illusion heraus. “Arrival Fallacy” nennt es der amerikanisch-israelische Glücksforscher Tal Ben-Shahar, auf deutsch also etwa “die Illusion des Ankommens”. Studien belegen, dass das Glücksgefühl über ein erreichtes Ziel meist eher von kurzer Dauer ist. Erfolgreich abgenommen – aber weiterhin unzufrieden mit dem eigenen Äußeren; befördert worden – doch immer noch gestresst. Wer solche Erfahrungen macht, ist mitunter enttäuscht von sich selbst und fragt sich: Kann ich denn nie zufrieden sein?

Damit sind Betroffene nicht allein. Vielmehr erleben viele Menschen “das Gefühl, dass man nie so richtig sicher und angekommen ist im Leben und dass die Lebensreise für niemanden wirklich komfortabel ist”: Das schreiben die Publizisten Judith Werner und Franz Himpsl in ihrem Buch “Danke, nicht gut”. Sie warnen vor “Glücks-Prokrastination”, also davor, das Glück an Bedingungen zu knüpfen und aufzuschieben, wenn die Einstellung herrscht: “Die Zukunft wird – ja sie muss! – golden sein, also spielt es keine Rolle, wie die Gegenwart aussieht.”

Nast schreibt, lange Zeit habe er im Leben ankommen wollen. “Aber das Leben ist ein vorläufiger Zustand. Immer. Es gibt nicht diese eine erlösende Person, die alles ändert. Es gibt kein fehlendes Puzzleteil.” Wer an dieser Erwartung festhalte, verharre in Passivität und Abhängigkeit: “Sich nicht zu entscheiden ist schließlich auch eine Entscheidung.”

Glücksforscher wie Ben-Shahar raten dazu, das kleine Glück stärker zu schätzen, statt sich zu sehr an die “großen” Ziele zu klammern. Denn auch wenn man sie erreicht: “Danach brauchen wir ein neues Ziel”, so seine Erkenntnis. Ein Ziel als Ansporn zu nutzen, auf sich selbst zu achten, sich anzustrengen und Erreichtes zu feiern, sehen Psychologen durchaus als sinnvoll an – doch die Erwartung, ein bestimmtes Ziel werde das Leben von grundauf verändern und nachhaltig glücklich machen, ist zu hoch gesteckt.

Statt als Leiter oder als “schnurgeraden Weg mit Levels, die es zu überwinden gilt”, könne man das Leben vielmehr als Landkarte betrachten, schreibt die britische Autorin Mari Andrew. Dann müsste man andere nicht beneiden, die vermeintlich schon “weiter” sind im Leben, sondern könne erkennen, dass sie einfach anderswo sind – und dass alle Lebenssituationen ihre Vorzüge und Schwierigkeiten haben.

Zu Akzeptanz raten auch Werner und Himpsl, vor allem im Hinblick auf unveränderliche Tatsachen wie diese: “Je mehr Geburtstagskerzen auf der Torte brennen, desto weniger werden die Abzweigungen, die man nehmen kann”. Ein Argument mehr, um weniger nach Schuldigen zu suchen für Dinge, die im eigenen Leben vielleicht nicht so sind, wie man sie sich wünschen würde – und um eine neue Offenheit zu wagen. Die großen Momente, schreibt Nast, zeigten sich sowieso oft erst im Nachhinein: “Sie entstehen daraus, wie ich mit Ereignissen umgehe – das macht einen Moment perfekt.”