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Einwender werfen Versammlungsleiter Befangenheit vor

Darf die Lingener Atomfabrik Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF) künftig Brennstäbe für osteuropäische Kernkraftwerke produzieren und dabei eine Kooperation mit dem russischen Unternehmen Rosatom eingehen? Drohen in diesem Fall Spionage und Sabotage? Oder sind die wirtschaftlichen Vorteile für das Unternehmen und die Region wichtiger? Um diese Frage beantworten zu können, hatte das niedersächsische Umweltministerium am Mittwoch zu einem nicht öffentlichen Erörterungstermin in die Emslandhallen in Lingen eingeladen.

Rund 11.000 Einwendungen wurden von Atomkraftgegnern, Umweltverbänden sowie Bürgerinnen und Bürger erhoben. „Kein Argument, kein Einwand soll verloren gehen“, verspricht der Leiter des Verfahrens, Andreas Sikorski, zu Beginn der Sitzung. Er ist im niedersächsischen Umweltministerium in Hannover verantwortlich für atomrechtliche Fragen. Wann die Erörterungen über die Erweiterungspläne abgeschlossen sind, könne er nicht sagen. Die Halle ist für die kommenden Tage reserviert.

Was Sikorski mit seinem Team so sorgfältig vorbereitet hat, beginnt mit empörten Anträgen und Vorwürfen: Irritiert fragt der Einwender Matthias Eickhoff, warum auf den Zuschauerbänken so viele Mitarbeitende des französischen Konzerns Framatome sitzen, zu dem die ANF gehört. Schließlich sei die Sitzung nicht öffentlich. Die Männer und Frauen des Konzerns sind gut zu erkennen an einem Aufkleber an der Brust mit der Aufschrift „Proud to be Framatome“.

Als Versammlungsleiter habe er das Recht, zusätzliche Expertinnen und Experten, aber auch besorgte Bürgerinnen und Bürger zuzulassen, entgegnet Sikorski. Eine weitere Einwenderin, Hanne Polleck, springt Eickhoff zur Seite und stellt einen Antrag auf Befangenheit. Darüber müsse seine Vorgesetzte entscheiden, sagt Sikorski und setzt die Sitzung fort. Am Nachmittag kommt die Entscheidung aus Hannover. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Halle hat Platz für 1.200 Personen, doch nach Angaben des Ministeriums haben lediglich 143 Einwenderinnen und Einwender in der riesigen Halle Platz genommen. Scharf formulieren sie ihre Fragen an die Vertreter des Atomkonzerns auf dem Podium.

Es geht um die Sicherheit und die Frage, warum ANF ausgerechnet mit der russischen Firma Rosatom kooperieren wolle, die doch in den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verwickelt sei. Spionage und Sabotage werde so Tür und Tor geöffnet. Ein Einwender verlangt den Abbruch des Verfahrens, weil Deutschland doch längst den Atomausstieg beschlossen habe, von dem die Lingener Fabrik allerdings ausgenommen ist. Andere fragen, ob es denn stimme, dass bereits russische Experten in Lingen bei Vorbereitungsarbeiten mit Mitarbeitenden von ANF zusammengearbeitet haben.

Der ANF-Vertreter Jürgen Krämer hat auf der Bühne einen schweren Stand. Ja, es seien im April bereits russische Experten in Lingen gewesen, um ANF-Mitarbeitende an den neuen Maschinen anzulernen, räumt er ein. Dies sei aber nicht auf dem Werksgelände geschehen, sondern in einer eigens angemieteten Halle. Die Fragen, wie viele Russen dort waren und auf welchem Wege sie eingereist sind, lässt Krämer unbeantwortet. Die Sanktionen westlicher Staaten gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine erstrecken sich bislang nicht auf den Nuklearsektor.

Auskunftsfreudiger ist Krämer bei der Frage nach der Motivation seines Unternehmens: Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine seien die Betreiber der Atomkraftwerke russischer Bauart in Ungarn, Tschechien, in der Slowakei, Bulgarien und in Finnland abgeschnitten von ihren bisherigen Lieferanten. Sie hätten an den französischen Mutterkonzern Framatome appelliert, die besonderen sechseckigen Brennstäbe zu produzieren.

Am Mittag bewerteten die Parteien ihre Erwartungen und Hoffnungen höchst unterschiedlich. Versammlungsleiter Sikorski betont seine Neutralität. Das Anhörungsverfahren führe nicht direkt zu einer Entscheidung, sondern schaffe ein Gesamtbild für die Entscheidung. ANF-Geschäftsführer Andreas Hoff sagt, „Wir haben volles Vertrauen in das Ministerium und sehen einer fairen und unparteiischen Anhörung zuversichtlich entgegen.“

Bettina Ankermann von der Initiative „ausgestrahlt“ zeigte sich dagegen höchst unzufrieden. ANF habe nur ausweichend geantwortet und sei auf viele Fragen, etwa nach alternativen Kooperationspartnern, schuldig geblieben. Susanne Gerster von Naturschutzbund BUND unterstrich, eine Kooperation werde die Abhängigkeit von Russland nur verstärken: „Der Antrag muss ANF versagt werden.“ Die Entscheidung über die Pläne wird am Ende bei Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) liegen. In Atomfragen ist aber der Bund weisungsbefugt.