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Eine neue Ordnung für Westfalen

Die Kirchenordnung (KO) ist die Verfassung der Evangelischen Kirche von Westfalen. Eine Arbeitsgruppe soll die Weiterentwicklung prüfen. Ein Gespräch mit Koordinatorin Jutta Beldermann.

Konzeption für eine Kirche der Zukunft: Jutta Beldermann koordiniert den Prozess
Konzeption für eine Kirche der Zukunft: Jutta Beldermann koordiniert den ProzessMartin Eickhoff / Stiftung Nazareth, Bethel

Frau Beldermann, Revision der Kirchenordnung – das klingt trocken. Was genau ist damit gemeint? Revision kann ja vieles bedeuten: Kontrolle, Korrektur, Änderung.
Jutta Beldermann: Überprüfen und anpassen – das trifft es ganz gut. Die Kirchenordnung ist die Verfassung der Evangelischen Kirche von Westfalen. Sie gibt verbindliche Regeln für das Leben und Arbeiten in der Kirche. Der Begriff mag trocken klingen. Aber eine Änderung der Kirchenordnung hat weitreichende Folgen. Für alle, die in der Kirche mitmachen, ehrenamtlich oder beruflich.

Warum ist eine solche Überprüfung und Änderung nötig?
Die Kirchenordnung stammt aus dem Jahr 1953. Seitdem hat sich vieles verändert in Kirche und Gesellschaft. Manches ist für den Alltag der Gemeinden und Kirchenkreise zu kompliziert und starr geworden und mit viel Aufwand verbunden.

Wahrscheinlich spielt auch eine Rolle, dass im Vergleich zu früher weniger Menschen in der Kirche mitmachen?
Natürlich. Wenn es in Zukunft weniger Menschen gibt, die ehrenamtlich oder beruflich mitarbeiten, müssen wir uns entsprechend aufstellen. Aber auch die Sprache spielt eine Rolle. Wenn man in die Kirchenordnung schaut, ist mancher Artikel nicht mehr so ohne weiteres verständlich. Das kann abschrecken. Wir wollen aber wieder Lust auf Kirche machen.

Wer schaut denn als normaler Mensch in eine Kirchenordnung?
Alle, die genauer Bescheid wissen wollen, worum es in der Kirche geht und wie sie funktioniert. Vor allem Menschen, die sich engagieren und Verantwortung übernehmen. Presbyterinnen und Presbyter etwa. Neulich sagte mir jemand: Ich habe mal in die Kirchenordnung reingeschaut; die ist ja voller Verbote!

Und warum ist das so?
Wie gesagt, die Kirchenordnung stammt aus dem Jahr 1953. Sie ist geprägt von den Erfahrungen der damals gerade zu Ende gegangenen Nazi-Zeit und des Kirchenkampfes. Da wollte man begreiflicherweise bestimmte Einflüsse und Entwicklungen möglichst ausschließen.

Sie sagten, Sie wollen wieder Lust auf Kirche machen. Wie kann das mit der Revision eines juristischen Grundlagenwerkes geschehen?
Es geht sehr stark darum, Menschen, die mitmachen wollen, zu motivieren und zu befähigen. Das muss natürlich an ganz vielen Stellen passieren, nicht nur in der Kirchenordnung. Aber die Kirchenordnung, man nennt sie abgekürzt auch KO, ist nicht nur eine Sammlung von Paragraphen und Regeln. Sondern sie drückt unser Selbstverständnis aus. Wer wir sind, was wir wollen, wie wir miteinander umgehen wollen. Sie ist die rechtliche Grundlage für alles Handeln der verfassten Kirche. Wenn Menschen also Grundlegendes über die Kirche wissen wollen, und sie schauen in die KO, dann sollten sie weder nur Bahnhof verstehen noch sich vom Ton der KO abgestoßen fühlen.

Von welchen Grundsätzen lässt sich die Kirche leiten? Welche Rolle spielt Macht – und wie soll sie ausgeübt werden? Das Bild zeigt das Landeskirchenamt in Bielefeld
Von welchen Grundsätzen lässt sich die Kirche leiten? Welche Rolle spielt Macht – und wie soll sie ausgeübt werden? Das Bild zeigt das Landeskirchenamt in BielefeldEKvW

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Die Jugendarbeit wird dort immer noch Dienst an der konfirmierten Jugend genannt. Dafür kann man heute niemanden mehr begeistern.

Neben dem Ton und der Sprache – was muss sich an der KO ändern?
Wir müssen als Kirche grundsätzlich flexibler werden. Wir sehen an viele Punkten, etwa auch in den Presbyterien und Kreissynoden, dass sich kaum noch Leute finden, die mitmachen wollen. Außerdem sollte sich der Machtabstand zwischen den Leitungsebenen ändern. Der ist in Westfalen traditionell sehr groß. Wir brauchen eine Kultur des Diskutierens auf Augenhöhe; eine Hierarchie, die der Funktion, der Aufgabe folgt, statt einer Autorität, die sich aus dem Amt oder der Institution ableiten will. Hans-Tjabert Conring, der als juristischer Dezernent für den Bereich Kirchenordnung zuständig ist, hat das so ausgedrückt: Die Zeit ist vorbei, in der wir Kirche mit Mächtigkeit und Einfluss gestalten konnten.

Wackelt da die presbyterial-synodale Verfassung der westfälischen Kirche?
Nein. Die presbyterial-synodale Ordnung ist die Grundlage unserer Verfassung. Daran rüttelt niemand. Aber wir müssen fragen: Wie kann man sie so organisieren, dass sie künftig auch mit weniger Menschen ausgestaltet werden kann? Das Kirchenleitungserprobungsgesetz, das jetzt in Kraft getreten ist, vertritt bereits diesen Ansatz. Und wir müssen überlegen, wie wir Menschen zum Mitmachen gewinnen können, die bisher nicht zum Kern der Gemeinde zählen, sondern eher am Rand stehen.

Würde das nicht auf lange Sicht den Markenkern der Kirche gefährden, also ihr Zentrum und Wesen?
Das glaube ich nicht. Sicher, wer Leitungsfunktion in der Kirche übernimmt, auch im Ehrenamt, sollte etwas mit dem Kern der Kirche anfangen können. Auch deshalb sollte in einer erneuerten Kirchenordnung gleich am Anfang glasklar der Auftrag der Kirche genannt werden. Deshalb ist auch eine Art theologische Qualifikation sinnvoll, um beispielsweise Mitglied im Presbyterium zu sein. Und ich bin fest davon überzeugt, dass eine solche Nähe zum Auftrag ja auch auf dem Weg wachsen und sich formen kann, wenn man sich in der Kirche engagiert. So ist es mir passiert, als Kindergottesdiensthelferin.

Was ist denn der Kern der Kirche, ihr Auftrag?
Die Kommunikation des Evangeliums. Dafür müssen wir das Bewusstsein stärken. Für alle in der Kirche, aber besonders für Synodale und Mitglieder von Presbyterien: Hier bin ich gefragt, mit meinem Glauben, mit meinem Verständnis von Evangelium und Theologie. Fragt man heute in Kirchenvorständen, hört man oft: Ich komme in all den Sitzungen und Verhandlungen gar nicht mehr vor; es geht vor allem darum, Tagesordnungspunkte abzuarbeiten, bei denen ich mich auch noch oft überfordert fühle.

Sie koordinieren den Prozess, die sich mit der Revision beschäftigt. Und zwar freiwillig und im Ehrenamt. Warum?
Mir erscheint diese Aufgabe sehr sinnvoll. Und sie macht mir Spaß. Ich bin Pfarrerin und ausgebildete Organisations-Entwicklerin und habe bei einem ähnliches Projekt bei der Vereinten Evangelischen Mission mitgearbeitet. Jetzt bin ich im Ruhestand und habe die Zeit, mich voll und ganz dieser Aufgabe zu widmen. Ich sehe darin so etwas wie die Konzeption für eine Kirche der Zukunft. In Pfarrkonferenzen werde ich eingeladen, berichte über den Stand der Entwicklung, nehme die Rückmeldungen mit. Im Prozessplan für 2025 sind digitale Werkstattgespräche vorgesehen, die es allen beruflich und ehrenamtlich in der EKvW mitwirkenden Menschen ermöglichen sollen, an der Entwicklung der revidierten Kirchenordnung mitzuwirken. Die Landessynode im Herbst 2026 sollte dann eine erneuerte Kirchenordnung beschließen können, zumindest einen ersten Teil. Die hätte dann bereits Auswirkungen auf die nächste Presbyteriumswahl im Jahr 2028.