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Eine echte Chance

Im Urlaub sind viele Menschen auf der Suche nach Ruhe, Einkehr und Sinn im Leben. Die Kirche entdeckt, dass hier ein Ort sein kann, an dem die Menschen offen für sie sind

Jakobswege überall. Von Höxter nach Bochum, von Minden nach Lippstadt, von Münster nach Dortmund, von Bielefeld nach Borken. Auch in Siegen, Winterberg und Breckerfeld. Wer aufmerksam durch seine Nachbarschaft geht, müsste schon rein statistisch gesehen irgendwo in der näheren Umgebung das Zeichen dieses Pilgerweges sehen: die gelbe Muschel auf blauem Grund.

Pilgern ist in. Aber nicht nur das Pilgern boomt. Seit den 90er-Jahren steigt die Nachfrage nach spirituellen Freizeitangeboten stetig an. Ob Meditieren im Wellness-Hotel, Yoga beim Manager-Seminar oder Schweigen im Kloster – Spiritualität ist nicht auf dem Rückzug, sondern erlebt geradezu eine Renaissance.
Und in einigen Bereichen hat diese Wiedergeburt eben auch durchaus Anklänge an die christliche Tradition. Während sich 1990 knapp 5000 Pilger auf dem Jakobsweg registrieren ließen, wurden im Jahr 2014 bereits 237 000 gezählt. Auch Klöster verzeichnen nach Angaben der Deutschen Ordensobernkonferenz mit Sitz in Bonn steigende Besucherzahlen. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass im Alltag die Menschen mit der Kirche – ob evangelisch oder katholisch – immer weniger zu tun haben wollen.
Woran liegt das?
Zum einen am Faktor Zeit. Der Terminplan schon von Schülern ist inzwischen derart voll, dass – anders als noch vor 30 Jahren – im Alltag wenig Spielraum bleibt. Zum anderen aber auch an der besonderen Stimmung, die aufkommen kann, wenn man mal länger als für zwei oder drei Tage aus dem Alltag raus ist. Der Mensch ist gelöster. Er kommt zur Ruhe. Gedanken und Fragen kommen an die Oberfläche, die sonst im Verborgenen vor sich hin dümpeln. Nicht von ungefähr setzen immer mehr Gemeinden auf Jugendfreizeiten und Konfi-Camps.
Das entspricht dem allgemeinen Verhalten in der modernen Gesellschaft: Man ist im Alltag immer weniger bereit und in der Lage, Verbindlichkeiten einzugehen. In der Kirche kennt man das von den Gruppen und von den Chören. Aber auch Parteien und Vereine haben mit dieser Entwicklung zu kämpfen. Immer weniger Menschen wollen sich festlegen oder für längere Zeit binden. Dafür sind sie bereit, sich punktuell sehr engagiert einzubringen. Da hat sich in den vergangenen Jahren einiges geändert, und zwar grundlegend.
Das kann man beklagen. Man kann sich dieser Erkenntnis auch verweigern und einfach so weitermachen wie bisher. Oder man kann versuchen, die Chance zu ergreifen. Es könnte sich lohnen, an dieser Stelle – Freizeit und Tourismus – intensiv weiterzudenken. Radwegekirchen (Seite 2), Freizeiten, Konfi-Camps und auch das Pilgern scheinen Ansätze zu sein, die in die richtige Richtung zielen.
Letztlich geht es nicht darum, Gemeindehäuser zu füllen; so schön es auch wäre, wenn das trotzdem oder gerade auf diese Art und Weise gelänge. Entscheidend muss am Ende sein, dass Menschen in Kontakt kommen mit Gottes Wort und der Botschaft von seiner Liebe.