Durch große Brillengläser schauen ihre wachen Augen direkt in die Kamera. Angelika Schneider trägt Kopfhörer, vor ihr hängt ein Mikrofon. Sie ist aufgeregt, möchte loslegen, das spürt man, wenn man das große schwarz-weiße Portraitfoto betrachtet. Dass sie Epilepsie hat, sieht man ihr nicht an, auch nicht, dass sie einst den Krebs besiegte. „Da gehöre ich hin“, sagt die zierliche Frau, als sie das Bild anschaut. „Da“, das ist das Studio des Einrichtungsradios „Antenne Bethel“. Und „da“ hat der prominente Portrait-Fotograf Jim Rakete sie abgelichtet.
Auftakt für das Festjahr zum 150. Jubiläum
Angelika Schneider ist eine von 50 Menschen aus Bethel, die Rakete vor die Linse genommen hat. Die Portraits sind bis zum 10. Februar im Paul-Löbe-Haus unter dem Titel „Wir sind viele“ zu sehen. Großformatig, in Holz gerahmt. Diese Menschen sind nicht berühmt, so wie es die Modelle des Fotografen meist sind: Sean Connery, Natalie Portman oder Helmut Schmidt. Rakete hatte sie alle vor der Linse. Seine Portraits aus Bethel zeigen Menschen mit Behinderungen, mit Epilepsie, mit psychischen Leiden, mit Suchterfahrungen.
Jim Rakete gebe ihnen mit diesen Bildern eine Stimme, „und zwar denen, die bis heute im gesellschaftlichen Miteinander um Wahrnehmung kämpfen müssen“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD) bei der Eröffnung der Ausstellung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Das Bild von Menschen mit Behinderung habe sich gesellschaftlich zwar stark verändert. „Aber wir wissen alle, dass der Weg zu einer uneingeschränkten Teilhabe von Menschen mit Behinderung noch ein langer und entscheidender ist“, sagte Schmidt. Und sie betonte: „Behindertes Leben ist lebenswert.“
Um das zu zeigen, besuchte der Portraitfotograf Rakete Einrichtungen der v. Bodelschwinghschen Stiftungen, unter anderem in Bielefeld, Berlin, Hannover und Dortmund. Er fotografierte die Menschen an ihrem Zuhause, in der Schule, in der Werkstatt, beim Radiosender. Es gab keine Maske, keinen Druck.
Am Ende stehen berührende, ehrliche Bilder. Man sieht darauf jedes Lachfältchen, jede Zahnlücke. Mal schaut das Modell direkt in die Kamera, mal nicht – oft sind es spontane Aufnahmen. Die Portraits zeigen lebenslustige Kinder, Jugendliche, Erwachsene und ältere Menschen. Nur sie allein stehen im Vordergrund, nicht ihre Behinderung.
Angelika Schneider ist stolz auf ihr Foto. Eine Sache, erzählt sie, stört sie aber schon ein wenig. „Ich schaue so ernst auf dem Bild. Ich bin eigentlich nicht so.“ Erklären kann sie sich den Gesichtsausdruck aber trotzdem: „Ich bin vor jeder Sendung aufgeregt. Auch wenn ich seit 1970 hinterm Mikro stehe.“ Das Foto sah sie nur kurz auf dem Bildschirm der Kamera. „Als ich das Foto dann in groß hier in der Ausstellung gesehen habe, hat es mich umgehauen.“
Auch Fotograf Rakete war von dem Projekt begeistert. Bei der Eröffnung sagte er: „Diese großartigen Leute, die wir fotografieren durften, haben uns alle tief berührt.“ Ein Journalist habe ihn darauf angesprochen, dass er sonst nur Prominente fotografiere. „Ich sagte: ,Das sind die Prominenten!‘“
„Natürlich musste ich im Studio fotografiert werden. Das war klar“, erzählt Angelika Schneider. Sie schmunzelt. Wie es sich anfühlt, das Foto jetzt im Paul-Löbe-Haus zu sehen? „Dafür finde ich keine Worte“, sagt Schneider, die mit ihrem Mann in einer eigenen Wohnung in Bielefeld wohnt. „In der Bielefelder Kunsthalle habe ich das noch nicht geschafft. Dafür hier im Bundestag.“
Die Schau ist Auftakt für das Festjahr Bethels zum 150-jährigen Bestehen. 1867 begann in Bielefeld die Arbeit mit der Fürsorge für epilepsiekranke Jugendliche. Heute gehören die v. Bodelschwinghschen Stiftungen zu den größten diakonischen Unternehmen Europas.