Eine zerschmetterte Geige, die schöne und blaue Donau sowie verbrannte Noten: Um die Strauss-Familie und ihr Werk ranken sich viele Legenden. Im Jubiläumsjahr lassen sich diese besonders gut erzählen.
Um Mitternacht ertönt der Donauwalzer, elf Stunden später spielen die Wiener Philharmoniker ihr jährliches Neujahrskonzert. Damit ist es mit der Strauss-Magie für gewöhnlich schon am 1. Januar vorbei. Aber nicht in diesem Jahr: Zum 200. Geburtstag von Johann Strauss (Sohn) am 25. Oktober hat Wien 2025 das Strauss-Jahr ausgerufen; mit Konzerten, Pop-Up-Museen und einem eigenen Escape-Room. Für Eduard Strauss, Urgroßneffe des legendären “Walzerkönigs”, ist es der beste Zeitpunkt, die zahlreichen Mythen aufzudecken, die seinen Stammbaum umranken.
Etwa der um die zerbrochene Geige. So besagt eine Legende, dass Johann Strauss (Vater) seinem Sohn das Instrument um die Ohren schlug, als er ihn beim Spielen erwischte – und ihm untersagte, in die eigenen Fußstapfen zu treten. Von einem erbitterten Streit zwischen Vater und Sohn sei in Aufzeichnungen tatsächlich die Rede, weiß Eduard Strauss. “Aber ein Musiker hätte doch nie aus Ärger heraus eine Geige zertrümmert”, ist er überzeugt. Das sei ebenso Halbwahrheit wie die Erzählung, sein Urgroßvater habe 1907 das gesamte Notenmaterial der Strauss-Dynastie verbrannt. “Er hat etwas verbrannt, aber das war einzig das Archiv seines eigenen Orchesters.”
Eduard Strauss führt seine Besucher an der Ahnengalerie vorbei. Im “House of Strauss”, einem von ihm mitgestalteten Museum im Wiener Nobelbezirk Döbling, blicken Johann Strauss (Vater) und seine drei Söhne von der Wand: Josef, Eduard und Johann (Sohn). Nicht nur seien alle vier geniale Musiker gewesen, sondern obendrein Marketing-Genies. So habe Johann (Sohn) begonnen, Operetten zu schreiben, weil diese laufend Tantiemen einbrachten – im Gegensatz zu Musikstücken, die einmalig an den Verleger verkauft wurden. “Es ging ums Geschäft und um Geld”, weiß Strauss-Nachfahre Eduard.
Mit seinem Wiener Instituts für Strauss-Forschung hat es sich der Richter im Ruhestand zum Ziel gemacht, die Dynastie zu “entkitschen”. Vor allem seine Ehefrauen, die als Johann Strauss’ Managerinnen auftraten, hätten ein Bild von ihm hinterlassen, das dem Faktencheck in Archiven oft nicht standhalte: Da seien Passagen aus Strauss’ Briefen gestrichen worden, bevor diese als Buch veröffentlicht wurden. Aus 25.000 Zuhörern bei seinem Konzert in Boston wurden in Nacherzählungen 100.000 – eine Zahl, die sich bis heute hält. Und aus Paris vermeldete Strauss’ erste Ehefrau Henriette grandiosen Erfolg bei der Aufführung des Donauwalzers bei der Weltausstellung – wenngleich sich in keinem Zeitungsarchiv Hinweise darauf finden.
Johann Strauss gilt als einer der ersten “globalen Popstars”. Diesem Titel stimmt Eduard Strauss zu. Allzu romantische Klischees gelte es aber zu korrigieren. Das sei die “Verantwortung”, die mit dem Nachnamen komme. Er appelliert: “Stellen wir Strauss dar als das, was er war: ein genialer Musiker, aber nicht unbedingt ein liebenswerter Mensch.” Familiensinn habe es in der Strauss-Dynastie nicht gegeben, ist Eduard überzeugt. Darüber hinaus habe sein Urgroßonkel an zahlreichen Ängsten gelitten, etwa einer Phobie vor Reisen oder vor Bergen.
Und welcher Strauss-Mythos hält sich am hartnäckigsten? Da fällt Eduard Strauss der berühmte Donauwalzer ein – in dessen Originalfassung es gar nicht um die Donau ging. Stattdessen erzähle der satirische Originaltext über die tristen Zustände im Wien der 1860er, von verlorener Freude und Tanz. “Auch der Titel ist sarkastisch zu verstehen”, sagt Eduard Strauss und lacht. “Wir erzählen euch über die Zustände an der schönen blauen Donau – die aber nie schön und nie blau war.”