Es ist schon ein interessantes Bild, das sich einem Passanten an diesem Abend in Vlotho bietet: Über 50 Jugendliche, ein Junge im Rollstuhl, einige junge Erwachsene, ältere Menschen, eine Frau mit Kinderwagen und eine mit Hund ziehen da in einer Art Prozession durch die Stadt. An der Spitze: zwei Jungs, die ein großes Holzkreuz tragen.
Pfarrer machen mit ihren Konfi-Gruppen mit
Gestartet ist das bunte Völkchen an der katholischen Heilig-Kreuz-Kirche. Dort war der Ausgangspunkt des ökumenischen Jugendkreuzweges. Der Verlauf wurde vorgstellt und in das diesjährige Thema „Wo bist du“ eingeführt. Jetzt stoppt die Gruppe an einer Wiese: Aus dem Lautsprecher erklingt meditative Musik, Konfirmanden lesen Texte, sie beten, ein Lied mit dem Titel „Wo bist du“ wird gesungen. Der Gesang ist noch etwas dünn. Gut, dass die Gitarre dabei ist.
Zum ersten Mal wird in Vlotho der ökumenische Jugendkreuzweg begangen. „Ich habe das selbst als Jugendlicher erlebt und es hat mich damals sehr beeindruckt“, sagt Jugendreferent Michael Kirchner. Also fragte er bei den Pfarrerinnen und Pfarrern in Vlotho nach, ob sie nicht Lust hätten, mit ihren Konfirmanden mitzumachen. „Der Vorschlag stieß gleich auf Zustimmung.“
Renate Wefers, Pfarrerin in Uffeln, bereitete einen Teil des Kreuzwegs mit ihren Konfirmandinnen und Konfirmanden vor. Den anderen Teil übernahmen Michael Kirchner mit seinem Team und einigen Jugendlichen. „Auch von der katholischen Gemeinde kam tatkräftige Unterstützung“, sagt der Jugendreferent.
Die Gruppe zieht weiter zur zweiten Station. Diesmal bleiben sie in der Stadt an der Sparkasse stehen. Der Ablauf an den einzelnen Stationen ist immer ähnlich. Die Pfarrerin und Jugendliche lesen etwas vor, es wird gebetet und gesungen – immer das gleiche Lied. Diesmal klingt es schon etwas voller.
Leandro (12) hat die Aufgabe, den Lautsprecher von Station zu Station zu bringen. Wie einen Rollkoffer zieht er das Ding hinter sich her und hat sichtlich Freude daran. „Ich hatte vorher noch nie etwas von einem Jugendkreuzweg oder so gehört“, sagt er. „Ich finde es gut, das mal kennenzulernen.“ Sein Kumpel Veit (13) trägt die Plakate von Station zu Station. Auch er ist angetan von der Aktion: „Ich finde es toll, in einer so großen Gruppe unterwegs zu sein.“
Der Jugendkreuzweg fand zum ersten Mal 1958 auf dem Katholikentag in Berlin statt. Damals entstand die Idee, dass es so etwas jedes Jahr geben sollte. Der Jugendkreuzweg wurde zu einer „Gebetsbrücke“ zwischen Ost- und Westdeutschland. Michael Kirchner wuchs in der Nähe von Leipzig auf und hat das genau so erlebt. Seit 1972 ist der Jugendkreuzweg ein ökumenisches Projekt und überschreitet längst die Landesgrenzen: Auch in Österreich, Luxemburg, der Schweiz und den Niederlanden machen sich Gläubige Jahr für Jahr gemeinsam auf den Weg, um sich auf die Karwoche und Ostern vorzubereiten.
Seit 1972 ein ökumenisches Projekt
Aus diesem Grund ist Maria Pippa dabei. „Es tut gut, mal zur Ruhe zu kommen und über den Leidensweg Jesu nachzudenken“, sagt sie. In ihrem Alltag schafft sie das oft nicht so gut. Dazu kommt, dass Tochter Julia eine Station mit vorbereitet hat. Maria Pippa ist begeistert vom Engagement der Jugendlichen. „Außerdem gefällt mir der Aufbau – dass sich der Kreuzweg diesmal an der heutigen Via Dolorosa in Jerusalem orientiert.“
Die Plakate, die an den Stationen gezeigt werden, zeigen Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem heutigen Jerusalem. Da sitzt zum Beispiel ein Süßigkeitenverkäufer an der Stelle, wo Jesus zum ersten Mal zusammengebrochen sein soll. Die Texte dazu drehen sich um die Frage „Wo bist du?“, die sowohl die Menschen an Gott stellen, als auch Gott an die Menschen. „Das Material wird zentral vorbereitet“, sagt Michael Kirchner. „Wir haben in diesem Jahr alles ziemlich genau so gemacht, wie es vorgeschlagen wurde.“
Nach der Station in der Fußgängerzone geht es in einen historischen Garten. „Bitte passt auf, dass ihr die Schneeglöckchen nicht zertretet“, bittet Pfarrerin Renate Wefers die Jugendlichen. Es geht um die Szene, als Simon von Zyrene gezwungen wird, Jesus zu helfen und ihm das Kreuz zu tragen. Das Plakat zeigt einen Mann an jener Stelle, der am Straßenrand steht. Die Zuhörerinnen und Zuhörer werden zum Nachdenken angeregt: Wie verhalte ich mich, wenn jemand meine Hilfe braucht? Einen Moment lang ist es ruhig.
Die Gruppe verlässt den Garten wieder und zieht weiter durch die Stadt. An einem großen Platz bleiben auch etliche Passanten stehen und hören zu. Mancher weiß aus der Zeitung, dass es sich hier um den Jugendkreuzweg handelt, zu dem alle Interessierten eingeladen wurden. Andere fragen leise, was hier los sei.
Ein Knicklicht als Zeichen: „Jesus ist mein Licht“
So ziehen sie weiter von Station zu Station. Zuletzt geht es in die St. Stephanskirche. Dort gibt es am Eingang für jeden Besucher eine Kerze, die Jungen legen das Kreuz im Altarraum auf den Boden. Einige Jugendliche legen Knicklichter darum herum. Nach Lesungen und Lied dürfen alle ihre Kerze nach vorn zum Kreuz bringen und sich dafür ein Knicklicht mitnehmen – als Zeichen dafür, dass Jesus Licht in ihr Leben bringt. Als Zeichen dafür, dass es mit der Kreuzigung nicht zu Ende ist. Knicklichter sind eine Art Leuchtstab. Gefüllt mit einer chemischen Substanz leuchten sie, nachdem man sie einmal leicht knickt.
Veit ist begeistert. „Ich habe viele gute Sachen gehört, ich kann viel mitnehmen.“ Er freut sich schon auf Ostern. Dazu gehört für ihn „ganz klar: die Auferstehung“ und der gemeinsame Gottesdienstbesuch mit seiner Familie. Auch Katharina (13) findet es toll, dabei gewesen zu sein. „Der Kreuzweg ist eine gute Vorbereitung.“ Ostern ist ihr wichtig: „Das ist ein kompletter Neuanfang und heißt für mich, dass ich bei jedem Problem Hoffnung haben kann. Gott holt mich immer wieder zurück.“