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“Ein Barockgarten braucht den Buxus”

Die Linden in den Herrenhäuser Gärten in Hannover wirken gedrungen. Als vierreihige Allee führen sie vom „Großen Garten“ auf das Welfen-Mausoleum im Berggarten zu. Manche von ihnen wurden schon 1723 gepflanzt und seitdem mehrfach in der Krone gekappt. Heute sichern Metall-Pfähle die Stämme, damit sie nicht umfallen. „90 Prozent sind hohl“, sagt Anke Seegert und greift in das Innere eines Baumes. Doch weil sie den Juchtenkäfer und andere seltene Arten beherbergen, dürfen selbst abgestorbene Rümpfe nicht ersetzt werden. „Artenschutz schlägt Denkmalschutz“, erläutert die Direktorin der Herrenhäuser Gärten.

Der Klimawandel mit Trockenheit, Hitze, aber auch Starkregen und Stürmen macht auch der europaweit bekannten Parkanlage zu schaffen, sagt die Landschaftsarchitektin. Zuletzt sorgte das Hochwasser des Flusses Leine im Winter für Schäden: „Wenn Bäume acht Wochen im Wasser stehen, ist das meistens ein Todesurteil.“ Erst kürzlich ist im Areal des Georgengartens eine mächtige Eiche gekippt.

Beobachtungen, die ins Bild einer Studie passen, die zu Jahresbeginn veröffentlicht wurde. Darin haben Forscher rund um Norbert Kühn von der TU Berlin erstmals Schäden erfasst, die Klimaveränderungen in historischen Parkanlagen in Deutschland angerichtet haben. Ergebnis: Vor allem wertvolle, alte Gehölze sind betroffen. Im Jahr 2022 zeigten 59 Prozent aller Bäume in den untersuchten Parkanlagen Beeinträchtigungen. Insgesamt wurden 62 Anlagen aus elf Bundesländern unter die Lupe genommen, in Hannover der Stadtpark und der „Hinübersche Garten“.

Doch auch Parks, die wie die Herrenhäuser Gärten nicht Teil der Studie waren, müssten Konsequenzen ziehen, sagt Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die die Studie gefördert hat: „Damit es nicht zum Verfall aufgrund von Klimastress kommt, müssen für die kostbaren Natur-Ensembles nachhaltige Strategien zum Erhalt von Bäumen und Gehölzen entwickelt werden.“

Seegert hat sich auf Reisen in südlichere Gebiete wie den Schweizer Kanton Wallis bereits über Arten informiert, die wie die Pflaumeiche wärmere Sommer verkraften und die auch die Forschenden in der Studie empfehlen. Der Denkmalschutz müsse im Blick sein, wenn Bäume ausgetauscht werden sollen, sagt sie. „Wir gucken deshalb nach jeweils gleichen Gattungen mit besonderer Widerstandskraft, wie zum Beispiel Birkenarten aus Bulgarien.“

Aber auch der Umgang mit den historisch geprägten Gestaltungsmerkmalen von Gartenanlagen müsse angesichts der Klimaveränderungen neu bedacht werden: Neben den italienischen und französischen Reiseeindrücken war es vor allem die niederländische barocke Gartenkunst, unter deren Einfluss die Kurfürstin Sofie von Hannover ab 1680 die Herrenhäuser Gärten neu gestalten und erweitern ließ. Sie begründete damit den Glanz des Parks, der heute zu den bedeutendsten Barockgärten Europas zählt. Nach vielen Versuchen sei es dort mittlerweile gelungen, Buchsbaumhecken zu kultivieren, die gegen Pilzbefall gefeit sind, sagt Seegert: „Ein Barockgarten braucht den Buxus.“

Im „Großen Garten“ gehören zudem grüne Rasenflächen zu den wichtigsten Gestaltungsmerkmalen, wie sie erläutert – eine Herausforderung für die Bewässerung. „Wir haben nah am Wasser gebaut, wie jeder historische Garten. Schon im Jahr 1700 hat Georg I. Rechte verbrieft, sodass Wasser aus der Leine entnommen werden darf.“ Mittlerweile würden insbesondere in trockenen Sommern Teile des Gartens unterirdisch bewässert, um kostbares Nass zu sparen. „Doch da müssen wir noch besser werden“, sagt die Direktorin. Gleiches gelte für die gezielte Tröpfchenbewässerung.

Die Kurfürstin setzte laut Seegert vielfach auf heimische Gehölze. Doch im Berggarten schuf sie ein Experimentierfeld für Gewächse aus südlicheren Gefilden. Manche von ihnen, die früher im Winter zurückfroren und eingepackt werden mussten, gedeihen mittlerweile sogar ungeschützt. Seegert deutet auf die prallen Blüten einer Sommermagnolie, einer Art aus dem Südosten der USA. An anderer Stelle blühen heimische Schafgarben in verschiedenen Farben. „Ein Klimagewinner, der gut mit Trockenheit umgehen kann“, sagt Seegert.

Mehr als zehn Millionen Euro investiert die Stadt Hannover nach ihren Angaben jährlich für den Erhalt der Gärten. Aktuell wird es wohl noch einmal mehr werden, denn noch immer sind nicht alle Schäden der Flut beseitigt.

Es gehe um mehr als den Erhalt von Kulturgut, sagt dazu Alexander Bonde von der Umweltstiftung: „Die historischen Parkanlagen und Gärten gelten als Hotspots biologischer Vielfalt. Sie beherbergen eine große Vielfalt an Baum- und Tierarten.“

Ob Juchtenkäfer, Fledermäuse oder Austernfischer: Seegert hat das in den Herrenhäuser Gärten täglich vor Augen, genauso wie picknickende Familien oder Touristen aus aller Welt. Die 135 Hektar Grünanlage bilden überdies eine Kaltluftschneise. „Perfekt für die Belüftung der Stadt“, sagt sie: „Es ist viel mehr als nur ein Garten!“