Der Vater Geächteter der Kommunisten. Er selbst Kritiker der aktuellen populistischen Regierung. Und sein Sohn womöglich nächster Ministerpräsident der Slowakei. Ein Treffen mit Martin Milan Simecka.
Europaflaggen und Wutgeschrei: Seit Monaten gehen Demonstranten in Bratislava auf die Straße, um gegen den prorussischen Kurs von Ministerpräsident Robert Fico zu protestieren. Unter ihnen ist auch Martin Milan Simecka. Um seinen Nachnamen kommt niemand herum, der sich mit der jüngeren Geschichte der Slowakei beschäftigt: Sein Vater Milan (1930-1990) war ein Gegner des kommunistischen Regimes; er selbst, Jahrgang 1957, ist mit seinen Zeitungskolumnen ein lautstarker Kritiker der Fico-Regierung. Und sein Sohn Michal? Der 40-Jährige hat als Oppositionsführer gute Chancen, neuer Regierungschef des Landes zu werden. Derzeit führt seine Partei Progressive Slowakei (PS) alle Umfragen an.
“Dieses Land ist in Gefahr. Wir haben heute die schlechteste Regierung seit 1989 [der “Samtenen Revolution”, Anm. d. Red.]”, sagt Martin Simecka. Er lehnt in einem Schaukelstuhl, hinter ihm ein Bücherregal. In der Luft liegt der Geruch kalten Kaminrauchs. Keine Spur von Luxus. Und doch hat das über hundert Jahre alte Haus in einem Vorort von Bratislava einen eigenen Charakter.
Hier sei einst die Elite der Tschechoslowakei ein- und ausgegangen, erzählt Simecka; Autoren, Politiker und Intellektuelle, darunter auch der erste tschechische Präsident Vaclav Havel. “Er und mein Vater waren Freunde. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht.”
Simeckas Vater Milan war Philosoph, Publizist und Politikwissenschaftler. An der Universität unterrichtete er Marxismus-Leninismus und forschte zu gesellschaftlichen Utopien – bis 1968 die Truppen des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei einmarschierten. Heute noch erinnert sich Martin Milan Simecka, damals zehn Jahre alt, an den Anblick anrollender sowjetischer Panzer. “In dem Moment wusste ich, dass sich alles ändern würde.” Wegen der Regimekritik des Vaters verloren beide Eltern ihre Uni-Jobs. Martin verwehrte man Schulabschluss und Studium.
Eindruck hinterließ auch ein Besuch der Polizei in der elterlichen Wohnung gegen Ende des Kommunismus. Dabei rissen die Geheimdienstler Wanzen und Kabel aus den Wänden. Dass sie 15 Jahre lang ausspioniert worden waren, überraschte Simecka nicht. “Sie hörten ja auch unser Telefon ab, und es gab unzählige Hausdurchsuchungen.”
Simecka wuchs in einer intellektuellen Bubble auf. Statt in Vorlesungen zu sitzen, lernte er von den Freunden seines Vaters: damals die einflussreichsten Schriftsteller ihrer Zeit. Heute täte man gut daran, die Werke seines Vaters erneut zu lesen, rät Simecka. Denn sie beschreiben, wie es ein System schafft, seine Bürger ohne große Gewaltausübung zu kontrollieren. “Das gleiche geschieht heute wieder, in den USA und auch in der Slowakei.”
Seit seinem erneuten Amtsantritt vor zwei Jahren senkten der Linkspopulist Fico und seine Koalitionspartner die Strafen für Korruption. Sie sagten Kulturschaffenden den Kampf an und beschlossen jüngst ein umstrittenes Anti-NGO-Gesetz. Zu Wladimir Putin unterhält Fico ein freundschaftliches Verhältnis. Im Mai will er als einziger EU-Regierungschef für das Gedenken an das Weltkriegsende nach Moskau reisen.
“Widerlich” findet Simecka diese Anbiederung. Umso wichtiger seien die gegenwärtigen Proteste: “Unser Ministerpräsident versucht, die Slowakei aus der EU herauszuführen. Er lässt keine Gelegenheit verstreichen, die EU anzugreifen.” Das sei ein gefährliches Spiel.
Wünscht sich Simecka, dass sein Sohn Michal das Ruder als nächster Regierungschef herumreißt? Er lacht: “Als Bürger natürlich, ja. Als Vater keineswegs.” Zu aufgeheizt und polarisiert sei die gegenwärtige politische Lage im Land; da könne man doch fast nur scheitern.
Derzeit arbeitet Simecka, der jahrelang Chefredakteur der auflagenstarken Tageszeitung SME war, an einem Buchprojekt. Es geht um die Frage: Wie besteht man als freier Bürger in einem widrigen System? Bisher wanderten Slowaken massenhaft aus wirtschaftlichen Gründen in Länder wie Deutschland oder Österreich ab. Die nächste große Welle könnte aus politischen Gründen folgen, warnt Simecka.