Eine Sache weiß Aran Hussein jetzt: „Wenn ein Tiktok-Post viele Likes hat und millionenfach verbreitet wird, hat das noch lange nichts zu bedeuten.“ Vor einem Jahr hat der heute 17-Jährige an seiner Schule, dem Kölner Thusnelda-Gymnasium, das Projekt „DigitalSchoolStory“ (DSS) durchlaufen.
Er und viele Jugendliche mit ihm haben dabei selbst Social-Media-Videos erstellt zum Thema „Freiheit“. Abgesehen davon, dass er nun das Medium selbst besser verstehe, habe er etwas über Freiheit gelernt, sagt er: „Jetzt wissen wir, dass sie sehr individuell ist und für jeden etwas anderes bedeuten kann.“
Junge Leute informieren sich heute vor allem über soziale Netzwerke wie beispielsweise Tiktok. Das bringt einige Probleme mit sich. Die kurzen Videos auf dieser Plattform funktionieren besonders gut, wenn sie hochemotional sind oder Gut-Böse-Schemata erzählen. Weil Desinformation nach den gleichen Prinzipien funktioniert, sehen Expertinnen und Experten in Tiktok mittlerweile eine veritable Fake-News-Schleuder.
So wie Eva Berendsen. Die Leiterin der Digitalen Bildung der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main hatte bei einem Pressetermin Anfang November gesagt, seit dem Überfall der Hamas beobachte man besonders auf Tiktok eine Flut von antisemitischen Falschnachrichten: „Hier wird dem Terrorismus von morgen der Boden bereitet.“
Das ist eines der Dinge, gegen die sich das DSS-Projekt stemmt. Seinen Ursprung hat es beim gemeinnützigen Unternehmen „DigitalSchoolStory“ mit Sitz in Bad Homburg bei Frankfurt am Main, das damit Schülerinnen und Schülern zu einem reflektierteren Umgang mit sozialen Netzwerken verhelfen will.
Am besten, so ist sein Ansatz, gelingt das, wenn die Jugendlichen selbst zu Produzenten von Videos werden. Sie erstellen dabei Skripte und Storyboards, drehen und schneiden. Am Ende schauen sich echte Tiktok-Influencer die Werke an und geben den Schülerinnen und Schülern Rückmeldung darüber. Sie erklären den Schülerinnen und Schülern, wann ein Video gut funktioniert und wie man sich in der Welt des Internets bewegt. „Das ist schon eine enorme Motivation“, sagt Aran Hussein, „wenn man weiß: Am Ende kommt so ein Tiktoker mit Millionen Followern und guckt sich seinen Film an.“
Inhaltlich geht es bei DSS nicht nur um Fake News oder andere mediale und gesellschaftliche Themen, sondern um alles Mögliche aus dem Lehrplan: Mathematik, Physik, Deutsch. DSS soll nämlich nicht nur die Demokratie fördern, sondern auch Kenntnisse von Jugendlichen in anderen schulischen Themen und Fächern fördern.
Am Ende erhalten die Teilnehmenden eine Note, wie nach einer Klassenarbeit. Sie haben dann auch ordentlich Zeit investiert: 18 Schulstunden in neun Wochen. „Kompetenzen entwickeln sich nicht von heute auf morgen“, sagt die DSS-Geschäftsführerin Nina Mülhens.
Um genau diese Kompetenzen geht es André Szymkowiak, Leiter des Thusnelda-Gymnasiums. Bildung, sagt er, sei heute mehr als das Pauken von vorgegebenen Inhalten. „Bildung, wie wir sie bisher verstanden, schützt uns erkennbar nicht vor Demokratiefeindlichkeit“, bilanziert er. Schülerinnen und Schüler müssten solche medialen Kompetenzen erlernen, also eine Art digitaler Alphabetisierung durchlaufen.
Das DSS-Projekt gibt es mittlerweile an Schulen in allen Bundesländern. Bislang haben bei gut 160 Auflagen mehr als 5.000 Schülerinnen und Schüler das Projekt durchlaufen.
Das Fraunhofer-Institut für angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin bei Bonn hat die DSS-Methode wissenschaftlich evaluiert. Sein Ergebnis: Schülerinnen und Schüler, die DSS durchlaufen haben, sind nach Einschätzungen ihrer Lehrkräfte kreativer, innovativer, können kritischer denken und besser Probleme lösen als Schülerinnen und Schüler einer Kontrollgruppe, die DSS nicht durchlaufen haben.