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“Die Schattenjäger” über einen Überlebenden des Assad-Regimes

In dem Film “Die Schattenjäger” glaubt ein Überlebender des syrischen Militärgefängnisses Saidnaya, einen seiner Folterer in Straßburg wiederzuerkennen.

Es ist der Geruch und die Stimme. Hamid (Adam Bessa) hat seinen Folterer, der ihn im syrischen Militärgefängnis Saidnaya gequält hat, zwar nie gesehen. Und auch der Folterer hat ihn nie gesehen. Als die Gefangenen mit einem elektrischen Kabel und anderen Werkzeugen malträtiert wurden, bekamen sie einen Sack über den Kopf gestülpt. Umso stärker aber haben sich die sinnlichen Eindrücke in Hamids Körpergedächtnis eingeschrieben. Sie sind seine einzige Spur, die ihn zu Sami Hanna, dem Schlächter, führen können.

Hamid ist ein Überlebender. Frau und Tochter hat er im Krieg verloren. Seine Wohnung gleicht einer dunklen Zelle, nicht der Behausung eines Mannes, der plant, sich ein neues Leben in Europa aufzubauen. Wenn er einmal in der Woche mit seiner Mutter skypt, die in einem Flüchtlingslager in Beirut ausharrt, erzählt er im geliehenen weißen Hemd von einem Leben in Deutschland, das nicht existiert. Denn tatsächlich lebt er als Mitglied einer kleinen, im Geheimen operierenden Gruppe von Exil-Syrern, die in Europa untergetauchte Schergen des Assad-Regimes aufspürt, in Straßburg. Er ist dort einem Mann auf den Fersen, der an der Universität ein Chemiestudium aufgenommen hat. Und den er bald an seinem Geruch und seiner Stimme wiederzuerkennen glaubt.

“Die Schattenjäger” folgt den Regeln eines minimalistischen Spionagethrillers. Man sieht Hamid bei der Beschattung des Verdächtigen, folgt ihm auf seinen Wegen, nimmt seinen Blick ein. Immer wieder taxiert die Kamera den Rücken des Studenten, seinen Hinterkopf oder seine Hand, die sich gelegentlich schmerzvoll verkrümmt. Warten und Bewegung, Stillstand und Dynamik.

Der französische Regisseur Jonathan Millet verzichtet auf Rückblenden und Erinnerungsbilder. Sowohl die erschütternden Zeugenaussagen der Opfer, die Hamid von einer ehemaligen Mitarbeiterin einer Nichtregierungsorganisation zugesteckt bekommt, als auch die Unterredungen der Organisation sind nur als Voiceover zu hören. Mit den Mitgliedern der Gruppe, die in verschiedenen europäischen Städten operiert, kommuniziert Hamid über eine Gaming-Plattform, während sich auf dem Bildschirm ein bewaffneter Soldat durch eine kriegsversehrte Häuserlandschaft ballert.

Wie ein richtiger Spionagefilm lebt auch “Die Schattenjäger” von der Verdichtung der Indizien wie von der Möglichkeit des Irrtums. Hamid hat sich schon einmal in einen falschen Verdacht “hineingesteigert”. Die Gruppe mahnt zur Vorsicht und will ihn nach Deutschland zurückbeordern, wo der Gesuchte untergetaucht sein soll. Als er den Mann, der Sami Hanna sein könnte, schließlich kennenlernt, wird es für ihn immer gefährlicher. Auch geraten seine persönlichen Rachegefühle und das Gebot strafrechtlicher Verfolgung immer mehr miteinander in Konflikt.

“Die Schattenjäger” scheint auf den ersten Blick von der Geschichte überholt worden zu sein. In Wahrheit aber kommt er genau zur richtigen Zeit. Als Ende 2024 die mehr als 50 Jahre währende Schreckensherrschaft von Baschar al-Assad kollabierte, gingen auch Videobilder von der Öffnung des Saidnaya-Gefängnisses durch die Medien. Bis zu 13.000 Gefangene sollen in dem auch als “menschliches Schlachthaus” genannten Kerker systematisch ermordet worden sein, Tausende kamen durch Hunger, Durst, Folter und Misshandlung ums Leben. Die neuen Machthaber bekunden, gezielt nach Folterschergen des alten Regimes suchen zu wollen.

Gegen Ende neigt “Die Schattenjäger” etwas zu Eindeutigkeit und Hast. Im Gespräch mit Hamid macht der mutmaßliche Folterer Andeutungen auf eine dunkle Vergangenheit und seinen “verloren gegangenen Glauben”. Die Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation, deren Mann im Gefängnis ermordet wurde, sinnt auf Rache. Millet will die Geschichte rund zu Ende erzählen. Von Straßburg geht es nach Berlin und Beirut und dann nach Paris. Dabei ist der Film mehr als ein klassisch gestrickter Spionagethriller. Die “Jäger” sind kriegsversehrte, traumatisierte Menschen. Millets Blick auf die Fragilität diasporischer Räume, in denen sich stets auch Anhänger des Regimes versteckt halten könnten, ist beiläufig und doch genau. Überleben bedeutet ein Gefangensein im Dazwischen, eine Existenz im Schattenreich.