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Die Sache mit der Jungfrauengeburt

Die Evangelisten Matthäus und Lukas versichern, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde. Ist das ein Übersetzungsfehler? Nein, meint der Bochumer Neutestamentler Peter Wick.

Sie ist untrennbar mit dem Weihnachtsfest verbunden, und doch mag kaum jemand so recht an sie glauben: Die Jungfrauengeburt ist und bleibt ein Stein des Anstoßes. Kann ein moderner, aufgeklärter Mensch ein solches übernatürliches Phänomen wirklich ehrlichen Herzens bekennen? Oder ist der Satz „Geboren von der Jungfrau Maria“ überholt und sollte besser aus dem Glaubensbekenntnis gestrichen werden?

Die Auskunft, dass Maria bei der Geburt Jesu Jungfrau gewesen sei – also medizinisch-nüchtern ausgedrückt, noch keinen Geschlechtsverkehr hatte –, wird von zwei Evangelisten überliefert. Das Lukas-Evangelium bezeichnet Maria schon bei ihrer ersten Erwähnung in der Verkündigungsgeschichte  gleich zweimal als „Jungfrau“ (Lukas 1,27). Auch in ihrer Reaktion auf die Ankündigung des Engels wird deutlich, dass Maria dem medizinischen Sinn nach „jungfräulich“ ist: „Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?“, fragt sie verwirrt (Lukas 1,34).

„Stein des Anstoßes“ in Bibel und Bekenntnis

Der Evangelist Matthäus, der großen Wert auf Jesu jüdische Herkunft legt, betont ebenfalls gleich im ersten Satz das Übernatürliche an Marias Schwangerschaft: Sie war „von dem heiligen Geist“ (Matthäus 1,18). Der Engel, den Matthäus dann nicht zu Maria, sondern zu Josef sprechen lässt, stellt diese Schwangerschaft als die Erfüllung einer prophetischen Verheißung aus dem Jesaja-Buch dar (Jesaja 7,14): „,Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben‘, das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ (Matthäus 1,23). Ausdrücklich erwähnt der Evangelist dann noch einmal, dass es bis zur Geburt Jesu zwischen Maria und Josef keinen sexuellen Verkehr gibt (Matthäus 1,25).

Die Berichte der Evangelisten sind eindeutig: Sie erzählen davon, dass Marias Schwangerschaft auf übernatürliche Weise zustande gekommen ist. Das Wort „Jungfrau“ (griechisch: parthénos), das beide Autoren benutzen, ist der „terminus technicus“ für eine junge Frau, die noch nicht mit Sexualität in Berührung gekommen ist, wie der Bochumer Neutestamentler Peter Wick erklärt. Zwar steht bei Jesaja im Hebräischen das Wort „alma“, das tatsächlich einfach eine junge Frau im heiratsfähigen Alter bezeichnet; die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, interpretiert jedoch hier bereits: Sie macht aus der „jungen Frau“ eine „Jungfrau“. „Damit wird das Wunderbare des Gotteszeichens, um das es ja auch bei Jesaja geht, hervorgehoben“, erklärt Wick. „Dass eine junge Frau schwanger wird, ist nichts Besonderes – bei einer Jungfrau ist das etwas anderes.“

„Jungfrau“ oder „junge Frau“ – beides stimmt

Für die jüdischen Leserinnen und Leser stellten die zwei Versionen in der hebräischen Thora und der Septuaginta kein Problem dar, sagt der Neutestamentler. „In dem Zeitraum, in dem die Septuaginta und auch die Evangelien entstanden sind, herrschte ein anderes Denken als heute. Damals konnten verschiedene Zugänge gleichwertig nebeneinander stehen – obwohl da nicht das Gleiche steht.“

Der Evangelist Matthäus ergreift mit seiner Wortwahl jedoch ganz bewusst und eindeutig  Position, so Wick: „Für ihn ist Maria eine echte Jungfrau – und seine Pointe heißt: Die Verheißung, dass eine Jungfrau schwanger wird, ist jetzt erfüllt. Die Übersetzung, die heute in der Lutherbibel steht, ist also richtig.“

Gleichzeitig stellt sich Matthäus damit in eine weitere, bisher wenig beachtete Tradition der jüdischen Theologie, wie Wick verdeutlicht: „Von 1. Mose 1 an ist Gott in allem den Menschen überlegen. Er kann alles selber machen – nur neues Leben gebären, das kann er nicht. Das können nur Frauen. Darum kann Gott bei der Geburt des Gottessohnes auf Josef verzichten, aber nicht auf die Mutter Maria.“

Was fangen wir aber heute an mit dieser Behauptung, die unserer Erfahrungswelt und unseren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen so zuwiderläuft? Peter Wick erklärt, dass es den Evangelisten nicht in erster Linie um historische Fakten ging. Sie wollten vielmehr von diesem Jesus erzählen, der gleichzeitig einen göttlichen Anspruch und ein menschliches Auftreten hatte – so menschlich, dass er schließlich am Kreuz starb, und so göttlich, dass er Wunder tun konnte und den Tod besiegte. Diesen eigentlich undenkbaren Widerspruch vereinen sie in Geschichten. „Das war ihre Form der Theologie“, sagt der Wissenschaftler. „Eine Sprache für dogmatische Formeln hatten sie noch nicht.“

Ein einleuchtendes Bild für die zwei Naturen Jesu

Die wurde erst in den folgenden Jahrhunderten entwickelt, als das Bedürfnis entstand, die Erzählungen der Evangelisten in ein theologisches System zu bringen und das Verhältnis der göttlichen und der menschlichen Seite Jesu klar zu definieren – auch, um es gegen Kritik und Fehlinterpretationen zu verteidigen. Die Theologen fanden dafür den Ausdruck der zwei Naturen, die gleichzeitig unvermischt und ungetrennt in Jesus vorhanden waren. Ein einleuchtendes Bild dafür war erneut die Jungfrauengeburt, die auf diese Weise den Weg ins apostolische Glaubensbekenntnis fand.

„Geboren von der Jungfrau Maria“ ist daher auch an dieser Stelle kein Satz, der historische Fakten festhalten will, sondern ein Bekenntnis: Gott hat auf eine Weise in die Welt eingegriffen, die für uns Menschen unerklärlich und undenkbar ist. Und doch glauben Menschen an seine Offenbarung in Jesus Christus. In diesem Sinne hat die Jungfrauengeburt ihren Platz in den Evangelien und im Glaubensbekenntnis.