Im Berliner Dom finden Menschen unkompliziert und ohne lange Wartezeit psychologische Hilfe. Ängste, insbesondere Zukunftsängste, ist eines der großen Themen in der evangelischen Beratungsstelle. Sie beteiligt sich an der bundesweiten Woche der Seelischen Gesundheit, bei der sich in diesem Jahr alles um Angst dreht.
Seelische Belastungen nehmen zu: erst die Corona-Pandemie, dann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Inflation mit steigenden Preisen. Lebensumstände, die als unberechenbar wahrgenommen werden, führen bei vielen Menschen zu Zukunftsängsten. Wer über seine Überforderung oder Erschöpfung im Alltag einfach einmal reden will oder tiefer gehenden Beratungsbedarf in einer Notlage hat, wartet lange auf einen Therapieplatz. Bei der Lebensberatung im Berliner Dom bekommen Hilfesuchende in der Regel innerhalb einer Woche einen Termin für ein Beratungsgespräch, derzeit aufgrund Personalmangels innerhalb von zwei bis drei Wochen – persönlich oder telefonisch; anonym und, wenn nicht anders möglich, auch unentgeltlich. Ein Team aus 20 engagierten haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, alle mit mehrjährigen Zusatzqualifikationen in psychologischer Beratung oder einer Klinischen Seelsorgeausbildung (KSA), berät Menschen in seelischer Not, unabhängig von Konfession, Herkunft oder sexueller Orientierung.
Gegründet wurde die Dom-Seelsorge schon 1979
Der Diplom-Psychologe Karl-Heinz Hilberath leitet die konfessionelle Einrichtung an prominenter Stelle in der Mitte Berlins seit 2014. Es sei eine erfüllende Aufgabe für viele. Auch für ihn: „Ich bin mit Leib und Seele Psychotherapeut.“ Hilberath stammt aus dem Rheinland, studierte in Bonn und war einst katholisch. „Bis Kardinal Meisner den Bogen überspannte“, sagt er. Heute ist Hilberath aktives Mitglied in der evangelischen Kirchengemeinde Tiergarten. Gegründet wurde die „DomSeelsorge“ 1979 von Pfarrer Horst Berger in Ostberlin. Sie war „ein Gegenpol zur staatlichen Beratung“, sagt Hilberath. 1999 erinnerte der damalige Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, in seinem Grußwort zum 20-jährigen Jubiläum der Beratungsstelle daran, „dass der Dienst der Kirche bis zur politischen Wende 1989 seitens staatlicher Organe mit großem Argwohn bedacht“ wurde.
An der Spreeseite des Doms Eingang der Lebensberatung

An einem ungewöhnlich warmen Herbsttag schieben sich dieser Tage Touristinnen und Touristen über den Boulevard Unter den Linden in Richtung Humboldt Forum, Lustgarten und Berliner Dom. Auf der Spreeseite des Kirchengebäudes, zwischen voll besetzten Stühlen und Tischen des Dom-Cafés, führt eine kleine, steile Treppe hinunter zu den Räumen der Lebensberatung. Das äußere Ambiente im Souterrain wirkt nicht sonderlich einladend, aber hinter der Glastür erwartet Besucherinnen und Besucher im schmalen Empfangsraum ein warmes Willkommen. Auf einem Tisch liegen Broschüren mit dem Veranstaltungsprogramm der „Woche der Seelischen Gesundheit“, die am 10. Oktober eröffnet wird; in einem Wandregal stecken dicht an dicht Flyer von Kontaktstellen aus dem Bereich psychischer Gesundheit. Die Lebensberatung im Berliner Dom ist in der Stadtgesellschaft verankert. Sie gehört zum „Netzwerk offene Türen“, kooperiert unter anderem mit dem Berliner Krisendienst, dem St.-Hedwig-Krankenhaus, der Integrativen Suchtberatungsstelle der Caritas sowie mit der Beratungseinrichtung „Offene Tür Berlin“, die vom Erzbistum Berlin mitfinanziert wird. Die drei hauptamtlichen Mitarbeitenden der Lebensberatung im Berliner Dom teilen sich ein kirchentypisches frugales Stundenkontingent: Leiter Karl-Heinz Hilberath hat eine 50-Prozent-Stelle, die Pfarrerin und Krankenhausseelsorgerin Elisabeth Gebhardt eine 25-Prozent Stelle und eine Verwaltungskraft bewältigt ihre Aufgaben mit jeweils fünf Stunden in der Woche. „Hinsichtlich des Geldes sieht es bei unserer Landeskirche immer etwas traurig aus“, sagt Hilberath.
Auch für Mittellose eine Beratungsstelle

Die Teilzeitstelle von Gebhardt wird vom Kirchenkreis Berlin Stadtmitte finanziert, Hilberaths aus Spenden Beratungssuchender und Gottesdienstkollekten. Ein Ehepaar, das vor acht Jahren von ihm beraten wurde, überweist bis heute monatlich 100 Euro. „Das ist großartig, aber leider selten“, sagt Hilberath. Und betont: „Wir sind auch eine Beratungsstelle für Mittellose.“ Die Evangelische Landeskirche und das Diakonische Werk gaben die Lebensberatung im Berliner Dom Ende der 1990er Jahre auf. Der evangelische-freikirchliche Verein Beratung + Lebenshilfe (ab 2006 Beratung + Leben) übernahm sie mit der Immanuel Diakonie für weitere 20 Jahre. Seit 1. Januar 2023 wird die Lebensberatung im Berliner Dom in Trägerschaft des Kirchenkreises Stadtmitte und des Berliner Doms geführt. Bis Oktober 2022, so Hilberath, konnte man jährlich rund 2700 Beratungsgespräche führen. Durch den Wegfall einer 50-Prozent-Stelle, die bislang von der evangelischen Landeskirche finanziert wurde, seien es in diesem Jahr voraussichtlich 2000. Paar- und Einzelberatungen halten sich die Waage. Größtenteils werden Ratsuchende von den Mitarbeitenden über einen längeren Zeitraum begleitet. „Wir sind präventiv tätig und bieten Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Hilberath. „Wir verstehen uns als Berater und Sortierer.“ Auch für Menschen mit Ängsten, die krank machen können, sei die Lebensberatung am Berliner Dom eine gute Anlaufstelle: zur Vorbeugung, bevor diese sich chronifizieren, das heißt, zu einer dauerhaften Beeinträchtigung werden.
Lebensberatung im Berliner Dom, Am Lustgarten 1, ist erreichbar unter 030/20269403 oder per E-Mail an info@lebensberatung.berlin
Mehr Infos auf www.lebensberatung.berlin