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Die Film-Ragazzi von Rom: Es lebe das Kino

Der Monte Ciocci im Westen Roms ist kaum bekannt. Dabei hat man von hier aus einen wundervollen weiten Blick über die Ewige Stadt und den Vatikan, der quasi direkt nebenan liegt. An diesem Sommerabend sitzen ein paar Dutzend Menschen auf der Wiese, ein Freiluftkino – eigentlich nichts Besonderes. Dass der Film „Die Reise des jungen Che“ vom Regisseur höchstpersönlich eingeleitet wird, hingegen schon. Der brasilianische Filmemacher Walter Salles ist begeistert. „Ich fühle mich geehrt, dass ich eingeladen bin, um an dieser Idee teilzuhaben: der Idee des Kinos als einer Utopie, als ein gemeinsames Erleben.“

„Cinema in Piazza“ heißt diese besondere Open-Air-Kino-Reihe im sommerlichen Rom, und sie wurde von einer Gruppe junger Leute ins Leben gerufen. Dieses Jahr findet sie bereits zum zehnten Mal statt: Von Anfang Juni bis Ende Juli gibt es auf drei öffentlichen Plätzen der italienischen Hauptstadt jeden Abend Filme zu sehen, kostenlos, finanziert durch Spenden und den Verkauf von Merchandise-Produkten.

Im vergangenen Jahr kamen nach Angaben der Veranstalter etwa 130.000 Besucherinnen und Besucher. Und ab und zu schaut eben auch einer der Großen der Filmszene vorbei, um über sein Werk zu sprechen: US-Regisseur Ari Aster, der italienische Schauspieler und Regisseur Carlo Verdone, Schauspieler Edward Norton. Ende Juni diskutierte Damien Chazelle über seinen oscarprämierten Film „La La Land“ mit dem Regisseur und Drehbuchautor Paolo Sorrentino.

Am Anfang des Sommer-Filmfestivals stand die Initiative „Piccolo Cinema America“ von Schülern und Studierenden zwischen 16 und 25. Mit Kino und Film hatten sie nichts am Hut. Aber sie wollten nicht hinnehmen, dass „die einzige Form des Vergnügens für junge Leute Alkohol und Drogen“ sein sollten, wie Valerio Carocci, der Sprecher des „Cinema America“, fünf Jahre nach der Gründung einmal sagte.

Heute kennt in Rom fast jeder die „Ragazzi del Cinema America“. Die Ragazzi, die jungen Leute, suchten eigentlich nur einen Raum für Diskussionen und Veranstaltungen, einen Ort für sich. Gefunden haben sie das verlassene und heruntergekommene „Cinema America“ im römischen Stadtteil Trastevere. Es sollte Parkplätzen und Wohnungen weichen, das Viertel zählte schon damals zu den angesagtesten der Stadt.

Die Besetzung durch die jungen Leute schien eine von vielen zu werden, mit nur einem denkbaren Ausgang: der Räumung. Die Ragazzi aber entdeckten den Ort, den sie sich aneigneten – und damit ihre Liebe zum Film. Sie brachten ihre Schätze, italienische Kinoerfolge vergangener Jahre, ihren Altersgenossen näher, veranstalteten Vorführungen und Diskussionen in den heruntergekommenen Räumen. Sie wollten die Sprache des Kinos lernen, sie bewahren und weitertragen.

Geräumt wurde das besetzte Kino trotzdem. Aber die Aktivisten brachten einfach das Kino nach draußen, bauten auf der nahe gelegenen Piazza San Cosimato eine Leinwand auf und stellten Stühle davor. Schon zur ersten Ausgabe ihres kleinen Festivals kamen Regisseure und Schauspieler, um ihre Werke persönlich dem Publikum vorzustellen. Aber vor allem, um sich an die Seite der Ragazzi zu stellen.

Was einfach klingt, war und ist ein steiniger Weg. Die „Ragazzi del Cinema America“ hatte nicht nur Fans. Roms damalige Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung fand die Idee, die Piazza im Sommer zum Leben zu erwecken, zwar gut, forderte aber eine Ausschreibung, um über die Nutzung zu entscheiden. Monatelanges Bangen, Debattieren, Anträge ausfüllen war die Folge, nur damit diejenigen, die die Ursprungsidee für die Belebung des Platzes hatten, diese am Ende weiter umsetzen konnten.

Auch Anfeindungen bis hin zu körperlichen Angriffen waren die jungen Leute ausgesetzt, sowohl vom rechten als auch vom linken politischen Rand. Den einen waren sie zu alternativ, den anderen zu kommerziell – weil die einstigen Aktivisten sich immer weiter professionalisierten. Valerio Carocci stand sogar einige Zeit unter Polizeischutz.

Heute ist das „Piccolo America“ eine gemeinnützige Stiftung. Im September 2021 haben die Ragazzi ein paar Straßen entfernt vom Cinema America das ebenfalls verlassene Cinema Troisi wiedereröffnet. Und zwar nicht nur als Kino: Hier findet sich auch ein Raum für alle, die lesen oder arbeiten oder lernen wollen. Geöffnet ist er an 365 Tagen, 24 Stunden lang. „Das ist ein Raum für junge Menschen, der so in Rom einmalig ist, ich glaube sogar einmalig in Italien“, sagt Carocci. Das Kulturministerium förderte die Renovierung mit einer Million Euro. Mit dem Troisi ist am Ende nun auch der Ort entstanden, der die Grundidee der Initiative war: ein Raum für junge Leute.