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Die Botschaft ist einfach: “Willkommen!”

Wie er sich um Nachbarschaft mit den Flüchtlingen in Wandlitz kümmert – damit hat sich der “Runde Tisch der Toleranz” Respekt erworben.

Von Uli Schulte-Döinghaus

Ende vergangener Woche war die Bürgergesellschaft schockiert, nicht nur in Berlin-Hellersdorf. Rechtsextremen war es gelungen, Teile der Einwohnerschaft auf ihre Seite zu bringen und Stimmung gegen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten zu machen, die in einer alten Schule untergebracht werden sollen. Prompt formierte sich Gegenwehr, eine Initiative „Hellersdorf hilft Asylbewerbern“ etablierte sich über das Internet.

Was so etwas bewirken kann, das könnten die engagierten Hellersdorfer beim „Runden Tisch der Toleranz“ beherzter Bürger lernen, den sie auf Initiative der evangelischen Kirchengemeinde Anfang des Jahres in Wandlitz, nördlich von Berlin begründeten. Auch hier war Un- und Missverständnis bei vielen besorgten Wandlitzern vorausgegangen. Sie wurden angefeuert von angereisten Neonazis und ihren Parolen, die sich gegen ein Flüchtlingsheim im Osten der Gemeinde richteten. In dem dreistöckigen Plattenbau, einer ehemaligen Oberschule, sind heute zwischen 50 und 60 Bewohner untergebracht. Asylbewerber zum Beispiel aus Tschetschenien, Vietnam und Schwarzafrika.

Um sie willkommen zu heißen, versammelten sich zunächst sechs Wandlitzer Bürgerinnen und Bürger, unterstützt von politisch Verantwortlichen in Gemeinde und Kreis. Heute gehören rund 30 Wandlitzer zum Kern dieses „Runden Tisches“, zu besonderen Projekten und Anlässen packen zudem viele Nachbarn und Freunde mit an. Ihre bürgerschaftliche Botschaft ist ganz einfach: „Willkommen!“

Unübersehbar und in vielfältigen Sprachen und Farben prangt dieses „Willkommen“ zum Beispiel vor der Kirche in Basdorf. Janet Berchner, die Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinden Basdorf –Wandlitz–Zühlsdorf, hat diesen „Runden Tisch der Toleranz“ ins Leben gerufen, an dem jedermann Platz nehmen kann, egal welcher Konfession er sich zugehörig fühlt, wo er politisch oder weltanschaulich steht. Das schlichte „Willkommen“ eint sie – und die feste Entschlossenheit, Rassismus und Intoleranz abzuwehren, mit Einfallsreichtum und Unerwartetem.

Die Randale gingen bald im Chorgesang unter

Im Mai hatte sich eine Gruppe von NPD-Aktionisten in der Nähe des Flüchtlingsheims versammelt, um zu hetzen und zu giften. Kinder, schwangere Frauen und alle aus dem Flüchtlingsheim, die um ihr Leben fürchteten, fanden derweil Zuflucht in den Räumen der Kirchengemeinde. Aber die Neonazis hatten einen schweren Stand – und gaben bald auf. Ihre Randale ging in einem multikulturellen Chorgesang sehr farbenfroh und zivil gekleiderter Wandlitzer unter; man intonierte „Bunt, bunt, bunt sind alle meine Kleider“ und „We shall overcome“, wann immer die Rechtsradikalen grölen wollten.

Der Einfallsreichtum der engagierten Wandlitzer, gepaart mit ihrem praktischen Verstand, hat ihnen Respekt verschafft, sogar über die Gemeindegrenzen hinaus. Bis in die Schweiz ist es durchgedrungen, dass in Wandlitz die Flüchtlinge willkommen sind – auch dank des „Runden Tisches der Toleranz“.

Mühsam, aber nicht erfolglos ist es, ganz normale Wandlitzer mit ganz normalen Heimbewohnern zusammenzubringen, etwa fußballbegeisterte Kinder und Jugendliche. Oder Erwachsene, die an der deutschen Bürokratie verzweifeln und sich über gemeinsame Behördengänge freuen. Für die Mobilität sorgen Fahrradspenden, aufgerüstet in einer kleinen Fahrradwerkstatt, die der ehemalige Weltmeister im Bahnradfahren, der Wandlitzer Hans-Jürgen Geschke, eingerichtet hat.

Längst ist eine anfängliche Skepsis der Wandlitzer umgeschlagen in Hilfsbereitschaft. Sachspenden der Bürger in Form von Geschirr, Spielzeug und Mobiliar werden in einer alten Lagerhalle deponiert und regelmäßig von den dankbaren Flüchtlingsfamilien abgeholt. Für sie kann das den Start zum Wohnen in einer eigenen Wohnung oder Wohngemeinschaft erleichtern; erklärtes Ziel auch der politischen Öffentlichkeit in Kreis und Gemeinde ist es, die Flüchtlinge peu à peu in eigenen vier Wänden unterzubringen – kein einfaches Unterfangen in der beliebten Wohngegend im Speckgürtel von Berlin.

Unter dem Markenzeichen „Willkommen“ entfaltet sich am „Runden Tisch der Toleranz“ ehrenamtliches Engagement, es wird mit Gemeinde- und Kreisverantwortlichen beratschlagt – und angepackt. Kaum waren die ersten Flüchtlinge eingezogen, schleppten Wandlitzer und Bewohner eine ausrangierte Tischtennisplatte an. Einheimische Familien und Flüchtlinge ließen sich gemeinsam Tee, Kaffee und Kuchen schmecken, die zur Begrüßung aufgetischt wurden. Wandlitzer mit unterschiedlichsten beruflichem Hintergrund – neben Sozialarbeitern und Lehrern auch Juristinnen – geben seither Sprachunterricht, auf den besonders die Kinder ganz erpicht seien, wie die ehrenamtlich engagierte Hannah Kickel-Andrae bestätigt. „Regelmäßig kommen die Kinder uns von weitem entgegen und rufen begeistert: Heute Schule! Heute Schule!“

Kinder haben das Recht auf eine ordentliche Schule

Worauf die Kinder so erpicht sind – Bildung, Lernen, Schule – das ist im Alltag der Flüchtlingsfamilien (noch) von unerwarteter Bürokratie umzingelt. „Kinder und Jugendliche sind schulpflichtig, denen aufgrund eines Asylantrags der Aufenthalt gestattet ist oder die geduldet sind. Sie sind in die gemeindlichen Schulen zu integrieren.“ So sehen es die einschlägigen Brandenburger Gesetze und Verordnungen vor. Die Wandlitzer Wirklichkeit: Die Kinder aus Flüchtlingsfamilien werden zu Sprachkursen ins entfernte Eberswalde gefahren, statt sie in den normalen Schulen in Wandlitz gemeinsam mit den „einheimischen“ Kindern zu unterrichten.

Dafür tritt Elvira Muffler vom „Runden Tisch der Toleranz“ vehement ein und verweist auf das Recht auf eine ordentliche Schule, die mit der allgemeinen Schulpflicht einhergehe und für alle gelte. Hierfür wird gemeinsam mit der Kommunalgemeinde eine Lösung gesucht. Der gemeinsame Schulbesuch sei schließlich der beste Weg für Kinder, Sprache und Kultur des Landes zu erlernen, in das ihre Eltern mit ihnen geflohen sind. Das sagt Elvira Muffler, die auch bei diesem Thema gegenüber der Obrigkeit nicht locker lassen will.