Auch in den letzten beiden Kapiteln des Michabuches kommen wieder verschiedene Stimmen zu Wort. Gott fordert sein Volk zum Rechtsstreit heraus (6,1-8), Berge, Hügel und die Fundamente der Erde ruft er zu Zeugen; das Volk ist zu hören, das offenbar gegen ihn gemurrt hat und müde geworden ist (V 3). Die Stimme des Propheten ist zu vernehmen, der an den klaren und einfachen Weg erinnert, das Gute zu leben (V 8). Aber warum ist das Volk müde geworden, was hat es beschwert?
Das könnten die ständigen Bedrohungen der Assyrer gewesen sein und die damit verbundenen zermürbenden Zweifel an Gottes Führung und Beistand: Ist er wirklich bei uns? Hält er Wort? Verwandt sind Gedanken aus dem Jesajabuch: Statt zu paktieren und sich auf andere Mächte zu verlassen, sagt Jesaja dem Volk: „Durch Stillesein und Vertrauen würdet ihr stark sein“(Jesaja 30,15).
Es könnten aber auch die vielen Gebote Gottes selbst sein, die zu halten sich die Menschen außerstande fühlen. Manche Ausleger halten das für eine spätere Sichtweise, aber sie erklärt immerhin, warum der Prophet sich so klar und schlicht zu dem äußert, was wesentlich ist für ein Leben mit Gott: „Recht üben, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott“ (V8 in der Übersetzung von Hans Walter Wolff). Gott ist nicht mit Opfern zu gewinnen (V 6-7), sondern er wartet auf die Hingabe des ganzen Lebens als Antwort auf das Gute, das er dem Volk getan hat (V 4-5).
Dieser Gedanke wird zu Beginn des 7. Kapitels in einem Bild wieder aufgenommen: Es war üblich, bei der Ernte auf Feldern, an Bäumen und in Weinbergen etwas übrigzulassen, damit die Armen Nachlese halten und überleben konnten. Wenn es – im übertragenen Sinn – keine Nachlese an frommen Menschen gibt, ist das Überleben des ganzen Landes in Gefahr (V 2). Dann kann kein Mensch dem anderen mehr trauen. Übrig bleibt (wie in 6,8) die Hinwendung zu Gott, denn er enttäuscht das Vertrauen nicht (7,7).
Auch wenn die letzten drei Verse des Buches erst später angefügt worden sein sollten, so drücken sie doch abschließend das Staunen des Volkes über seinen Gott aus: Gott vergibt, und er bleibt treu. „Wo ist solch ein Gott wie du bist?“ (7,18) Der Beginn dieses Lobliedes könnte auf den Namen des Propheten anspielen: Micha ist die Kurzform für Micha-El „Wer ist wie Gott?“. Das, was den Gott Israels von der Götterwelt unterscheidet, sind seine Vergebung und sein Erbarmen. Die Frage in Vers 18 drückt dabei das Staunen aus, die Ehrfurcht, die aus der Erkenntnis kommt, dass nichts an Gottes Güte selbstverständlich oder verfügbar ist. Sie ist Geschenk.