Eigentlich hätte in Münster alles gutgehen können. Verwerfungen, Streit, Blutvergießen, Gemetzel, Belagerung, Hunger: All die schrecklichen Dinge, die im Zuge des „Täuferreichs“ geschahen, wären der Stadt und seinen Bürgerinnen und Bürgern erspart geblieben. Hätten sich die verschiedenen Seiten an ihre Absprachen gehalten – und hätte die Vernunft und nicht der Wahnsinn das letzte Wort behalten.
Wie das kam? Nach dem Thesenanschlag von Wittenberg hatten sich Luthers Ideen, wie hinlänglich bekannt, über ganz Deutschland verbreitet und waren zum Ende der 1520er Jahre schließlich auch in Münster angekommen. Dort war es der Prediger Bernd Rothmann, der zu den ersten gehörte, die sich anstecken ließen von den reformatorischen Ideen. Ausweisung und Predigtverbot waren die Folgen. Weil aber Rothmann einen großen Teil der Bürgerschaft an seiner Seite hatte, waren mit Genehmigung des Stadtrates 1532 alle Stadtkirchen mit Pfarrern besetzt, die der Reformation – zumeist in ihrer gemäßigten Variante – anhingen.
Im elften Teil der 13-teiligen Serie mit Reformationsgeschichten aus Westfalen und Lippe geht es um die Vorgeschichte des Täuferreichs in Münster: um einen Friedensvertrag, an den sich leider niemand gehalten hat, und um einen Prediger, den Luther vergeblich vor einem theologischen Irrweg warnte.
Kein Geringerer als Martin Luther selbst warnte Rothmann davor, sich die radikalen Ideen Zwinglis, Thomas Müntzers und anderer „Hätzer“ mehr zu eigen zu machen. Und in der Tat gelang es Rothmann, sich aus den Streitigkeiten der verschiedenen reformatorischen Gruppen herauszuhalten.
Beste Voraussetzungen eigentlich für ein friedliches Miteinander, sollte man meinen. Denn selbst der neue Bischof, Franz von Waldeck, stand der Reformation offen gegenüber.
Aber Franz hatte seine Rechnung ohne das mächtige Domkapitel der Stadt gemacht. Das nämlich war alles andere als amüsiert über die Entwicklung und zwang den Bischof, sich dazu zu verpflichten, die neue Lehre zu unterdrücken. Ein Mittel dazu waren Wirtschaftssanktionen. Überliefert ist die Geschichte vom „Ochsenarrest“: Mit der Konfiszierung von Vieh, das nach Köln getrieben wurde, sollten die Anhänger und Drahtzieher der reformatorischen Bewegung in Münster bestraft werden. Eine Aktion, die die betroffenen Eigner sicherlich alles andere als lustig fanden…
Und Franz von Waldeck? Er gehört zu den tragischen Figuren jener Tage, wie Antje Roggenkamp, Professorin für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Uni Münster und Herausgeberin des Buches „Reformatorische Stationen: Münster und Umgebung“, sagt. Er war einfach zu schwach, seine eigenen (reformationsfreundlichen) Positionen durchzusetzen.
Durchsetzen konnten sich die reformatorischen Kräfte trotzdem. Unter der Vermittlung des lutherischen Landgrafen Philipp von Hessen wurde im Februar 1533 der so genannte Dülmener Vertrag geschlossen. Nach diesem Kompromiss sollten die sechs Pfarrkirchen Münsters evangelisch und die Dom- und Klosterkirchen in Ritus und Lehre katholisch bleiben.
Damit war zwar unübersehbar, dass die Stadt zweigeteilt war. Aber immerhin gab es nun Regeln für das Miteinander, eine klare Abmachung, wann wo wie zu predigen sei. Zudem wollten dem Vertrag zufolge beide Seiten auf Polemik verzichten und in Streitfällen ein Schiedsgericht entscheiden lassen. Spätestens da, nach dem Dülmener Vertrag, hätte wirklich alles noch gut ausgehen können.
Aber leider: Der Frieden währte nicht lange. Insbesondere
Rothmann, so heißt es in Roggenkamps Buch, habe sich nicht an die Abmachungen gehalten. Er habe die Schranken der Ordnung sowohl auf kirchlichem Gebiet (Abendmahlslehre, Kindertaufe) als auch auf gesetzlichem Gebiet (Kirchenordnung) durchbrochen. Noch im Jahr des Abschlusses des Dülmener Vertrages begann er sich zu radikalisieren. Am 5. Januar 1534 ließ er sich (erneut) taufen. In demselben Jahr übernahmen die (Wieder-)Täufer in Münster die Herrschaft. Katholiken und viele „nichttäuferische“ Protestanten verließen die Stadt.
Zum Glück für Münster: Anderthalb Jahre später war es schon wieder aus mit dem Spuk. Die Täufer hatten sich nicht nur mit ihrer Erwartung des nahen Weltendes, ihrer Ablehnung der Kindertaufe und der wirtschaftlichen Neuordnung ihres „Reichs“ in eine ideologische Sackgasse manövriert (siehe auch UK 15/2017, Seite 10). Auch militärisch mussten sie sich im Juni 1535, nach Belagerung und Kämpfen, den Heeren altgläubiger und gemäßigt evangelischer Fürsten geschlagen geben.
Die führenden Köpfe des Täuferreichs, Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling, wurden auf dem Prinzipalmarkt zu Tode gefoltert. Ihre Leichen hängten die neuen Herren der Stadt bildmächtig in Metallkörben an den Turm der Lambertikirche.
Und Bernd Rothmann? Sein Ende ist ungewiss. Manche nehmen an, er sei bei der Eroberung der Stadt umgekommen, andere erzählten, er sei in Lübeck oder Rostock gesehen worden oder habe sich in Oldenburg niedergelassen.
Zugegeben: Es gab zwar verschiedene Faktoren, die zur Radikalisierung der Reformation in Münster führten (zum Beispiel ein schon lange gehegter Hass der Bürger gegen die Domkapitel und Klöster wegen deren gewerblicher Tätigkeiten), aber Rothmann bleibt eine der entscheidenden Figuren, die mitverantwortlich dafür waren, dass die Sache in der westfälischen Stadt so aus dem Ruder lief wie nirgendwo sonst in Deutschland.
Warum auch immer – Rothmann wählte die Revolution, nicht die Reformation.Damit steht sein Name bis heute für eine verpasste Chance, friedlich neue Wege zu gehen. Vernunft und Augenmaß blieben in Münster für einige Jahre auf der Strecke. Obsiegt hat der Wahnsinn. Leider. Selbst das gestrenge Wort des Wittenberger Reformators konnte daran offenbar nichts ändern.