Hieronymus Bosch (um 1450-1516) – eigentlich hieß er ja Jheronimus van Aken –, der am 9. August vor genau 500 Jahren starb, war der jüngste Spross einer Künstlerdynastie in der aufstrebenden südniederländischen Stadt ’s-Hertogenbosch. Zu den bemerkenswertesten Gemälden der Geschichte gehört zweifellos sein „Garten der Lüste“, das im Madrider Prado hängt. Es ist Zeugnis eines schier grenzenlosen Einfallsreichtums gepaart mit malerischer Meisterschaft, ein spektakuläres Wimmelbild zwischen Hölle und Paradies voller Rätsel.
Von der Sünde „durchbohrte“ Natur
Der Erste, der die „Bizarrheiten“ dieses rätselhaften „Altars“ beschrieb, war der Kanoniker Antonio de Beatis aus Apulien. Ende Juli 1517 sah er die drei Tafeln in Brüssel im Palast des Grafen Heinrich von Nassau, des vermutlichen Auftraggebers des Werkes. Er notierte: „Menschen, die aus Muscheln kriechen, andere, die Kraniche aus ihrem Darm drücken, Männer und Frauen, weiße und schwarze bei allen möglichen Geschäften und allen Arten von Posen; Vögel, Tiere jeder Art und von so großer Natürlichkeit, so faszinierende und phantastische Dinge, dass es ganz unmöglich ist, sie denen zu beschreiben, die sie nicht gesehen haben.“
Im katholischen Spanien hielt man Bosch für einen Teufelsbildner. Doch der spanische Hof-Bibliothekar Siguenza verteidigte ihn 1605 gegen Ketzereivorwürfe: Seine Bilder würden „ungerechterweise als grotesk-komisch abgewertet“, zeugten sie doch „von tiefer Weisheit wie von großer Kunst“. Den „Garten der Lüste“ deutet er – wie viele Autoren des 20. Jahrhunderts – moralisch, unter dem Aspekt der Todsünden.
Am besten, man beginnt das Triptychon von seiner linken Tafel her zu lesen: Gerade eben ist Eva aus einer Rippe Adams erschaffen worden. Der Schöpfer im Garten Eden ist bei Bosch eine Christusgestalt in rosafarbenem Gewand. Der segnet das neue Paar: „Seid fruchtbar und mehret euch“, ist der Auftrag an sie. Rechts von Eva deutet ein Kaninchenpaar die Fruchtbarkeit an. Ehe und Sexualität stehen im Dienst der Fortpflanzung. Aber mit den Lüsten ist es eine zweischneidige Sache.
Schöpfung und pervertierte Schöpfung sind auf der linken Tafel eng verbunden. Schon vor dem eigentlichen Sündenfall ist das Böse in der Welt: Die Szene spielt vor einem ganzen Wäldchen von Apfelbäumen (lateinisch malus = Apfelbaum; malum = das Böse). Der eigentliche Baum mit den verbotenen Früchten der Erkenntnis von Gut und Böse, um den sich aus einem der finsteren Löcher der Natur eine Schlange ringelt, befindet sich rechts hinter Adam und Eva, also auf der „bösen“ linken Seite Gottes. So friedlich die Morgendämmerung der Schöpfung scheint – die Sünde und der Tod sind in sie eingewoben.
Das Motiv der von der Sünde „durchbohrten“ Natur wiederholt sich mehrfach: Im oberen Bildbereich fliegt ein Vogelschwarm durch das Loch in einer phantastischen Felsformation; ganz unten kriechen Kröten und anderes Getier aus dem Loch eines Tümpels; und auch der „Lebensbrunnen“ in der Bildmitte hat ein finsteres Loch, in dem eine Eule sitzt. Anders als in der griechischen Mythologie, wo sie für die Weisheit steht, bedeutet sie bei Bosch meist das Böse oder ein Verhängnis.
In vielen seiner Bilder hat Hieronymus immer wieder dieselben Symbole verwendet. Die Kröte etwa steht für „Verdorbenheit“, das Böse. Hockt sie auf dem Geschlechtsteil, geht es um „Wollust“. Pfeile symbolisieren ebenfalls „das Böse“.
Auffällig ist, wie Hieronymus die Farbe Rosa in seinem Triptychon einsetzt: Der Christus-Schöpfer im irdischen Paradies ist in der gleichen Farbe gekleidet, in der auch der Lebensbrunnen erscheint. Die „göttliche Farbe“ wiederholt sich im mittleren Bild: in den phantastischen Formen und Türmchen im oberen Teil; und in der Kugel mit der Glasblasenblüte, dem schwimmenden Apfel mit Trauben und Kranich im unteren See. Beide zeigen glücklich vereinte nackte Paare. Entsprechendes gilt für seinen Einsatz der Farbe Blau. Sie stand im Mittelalter für den Himmel und Maria, die Muttergottes.
Beide Farben sind im mittleren Bild in besonderer Weise verbunden, vor allem in der Wiederholung des Lebensbrunnens und den phantastischen Türmen, die ihn umgeben. Sie greifen Motive des linken Bilds auf, in dem die Schöpfung noch vom Bösen „durchlöchert“ erscheint. Nun sind die Schöpfung und Gottes Geist nicht mehr geschieden, sondern untrennbar miteinander verbunden. Auf die erneuerte Schöpfung deutet das Ei neben dem Lebensbrunnen hin, in das Menschen zu strömen scheinen. Und das „Loch des Bösen“ im Brunnen selbst füllt ausgerechnet eine kleine Szene, die am explizitesten für die körperliche Liebe zu stehen scheint.
Adam und Eva scheinen auf der mittleren Tafel erneut aufzutauchen: Ganz unten rechts sehen sie uns aus einer Höhle – also in der Nähe des Höllenbildes – an, in Felle gekleidet, Eva mit einem Apfel in der Hand, aber vom Garten getrennt durch ein halbiertes Glasrohr.
Auch die Apfelbäume wiederholen sich. Die Szene ist ebenfalls rechts, „höllennah“ in der Bildmitte zu finden. Die Apfel pflückenden Menschen erinnern an die erste Auflehnung des Menschen gegen den Willen Gottes. Doch die Erkenntnis von Gut und Böse scheint diese Esser wenig zu interessieren.
Surrealistisch große Früchte spielen bei Bosch eine Schlüsselrolle: Überdimensionierte Brombeeren, Kirschen, Erdbeeren sind zu sehen. Auch Früchte hatten im Mittelalter symbolische Bedeutung. Die Kirsche stand für Fruchtbarkeit und Erotik, die Brombeere verband man mit der Liebe. Die Erdbeere symbolisierte Versuchung und Sterblichkeit.
„Der Garten der Lüste“ lässt sich auf viele Weisen interpretieren. Viele Details des Triptychons zeigen, dass Bosch die Welt in ganz und gar mittelalterlicher Weise las. Der „vierfache Schriftsinn“, der sich in der Bibel erkennen ließ, war auch auf die natürliche Welt anwendbar: Bibelstellen konnte man buchstäblich-historisch, allegorisch als Aussagen über den Glauben, moralisch als Handlungsanweisung oder „anagogisch“ als Hoffnungszeichen für die Gemeinde lesen. In den Naturerscheinungen musste, weil sie ja Gottes Schöpfung und somit Teil seines Heilsplans waren, der gleiche Schriftsinn erkennbar sein.
Der auf dem Elefanten sitzende Affe ist dann nichts anderes als ein Bild des zur Sünde verführbaren Menschen. Der exotische Drachenbaum, aus dessen Rinde scharlachrotes Harz, „Drachenblut“, quillt, ist nicht nur paradiesischer Lebensbaum, sondern auch Symbol für das Blut Christi.
Ablasspraxis der Höllentafel zugewiesen
In der mittleren Tafel ganz unten scharen sich Männer und Frauen, weiße und schwarze, um etwas, was zunächst wie eine weitere blaue Frucht aussieht, sich bei näherer Betrachtung aber als Trinkbecher erweist. Die Fülle der christlichen Bezüge und Anspielungen ist allein bei diesem Detail schier unerschöpflich: die blaue Farbe der Maria, Wein und die Hochzeit zu Kana, das Abendmahl oder das Blut Christi, auf den wiederum das urchristliche Symbol des Fisches hindeutet, nach dem ein Arm aus dem Gefäß heraus greift.
Die Ablasspraxis seiner Zeit thematisiert Boschs Bild ganz unten rechts auf der Höllentafel: Der unglückliche Besitzer eines Ablassbriefs muss feststellen, dass dieser offenkundig nichts geholfen hat. Dabei profitierte Hieronymus selbst vom Ablassgeschäft – jedenfalls mittelbar. Im späten 13. Jahrhundert begann man nämlich in ’s-Hertogenbosch, die dortige Johanneskirche zur gotischen Kathedrale auszubauen. Die Finanzierung des teuren Kirchbauprojekts, das erst gegen 1530 beendet worden sein soll, lief wie andernorts auch über Ablassbriefe. Nur ein Jahr nach Boschs Tod wird ein gewisser Martin Luther mit Kritik an der Ablasspraxis und mit 95 Thesen die Welt für immer verändern.
• „Bosch“ – die große Jubiläumsausstellung zum 500. Todestag: Sie war zunächst im niederländischen ’s-Hertogenbosch zu sehen und wird gegenwärtig noch bis 11. September im Prado in Madrid gezeigt. Der Katalog ist auch auf Deutsch erschienen. Internet: www.museodelprado.es (Englisch und Spanisch).
• „Der Garten der Lüste“: Internet-Tour durch Boschs Meisterwerk: tuinderlusten-jheronimusbosch.ntr.nl (Englisch und Niederländisch. „Jheronimus Bosch“.
• Umfangreiches Bosch-Portal der Stadt ’s-Hertogenbosch: www.bosch 500.nl (Englisch und Niederländisch).