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Der Natur auf der Spur – Wildkräuterspaziergang in der Stadt

Die zertifizierte Kräuterpädagogin Eva Arzdorf zeigt, was mitten in der Stadt alles wächst – und warum Wildkräuter mehr als nur hübsch anzusehen sind.

“Jetzt ist die schönste Wildkräuterzeit”, ruft Eva Arzdorf und läuft Richtung Wiese. Im hellen Sonnenschein recken hier Pflanzen ihre gelben Köpfe in die Höhe, lila Blüten stängeln sich nach oben, hunderte Gänseblümchen bilden eine Pracht. Im Gefolge hat Arzdorf rund 25 Frauen und einen Mann – sie sind die Teilnehmer des “großen Wildkräuterspaziergangs”, den die “wildkräuterei” in Köln ausrichtet. Die Nachfrage nach den urbanen Touren ist hoch: “Die meisten Spaziergänge sind schon ausgebucht”, berichtet Arzdorf. Besonders seit der Corona-Pandemie würden die Angebote einen deutlichen Zuwachs erleben.

Arzdorf hat sich gegen Ende der Pandemie innerhalb eines Jahres zur zertifizierten Kräuterpädagogin ausbilden lassen. Dafür hat sie unter anderem ein Herbarium mit 80 verschiedenen Kräutern angelegt. Die 43-Jährige ist im Hauptberuf Grafikdesignerin. Für sie war die Ausbildung ein “Gamechanger”, wie sie sagt: “Als würde ich zu dem zurückkehren, was mich schon in meiner Kindheit erdete.” Während die Arbeit als Designerin häufig “so laut, stumpf und grell” sei, finde sie in der Natur neuen Halt. “Es gibt mir eine gewisse Ruhe zu wissen, dass der Löwenzahn wächst, egal, ob wir Kriege führen oder die Preise steigen.” Sie könne jetzt viel leichter mal Fünfe gerade sein lassen.

Während des Spaziergangs im Kölner Westen allerdings kann Arzdorf kaum an einer Blüte oder einem Kraut vorbeilaufen. “Euch wird wahrscheinlich der Kopf rauchen, wenn wir fertig sind”, verspricht sie zu Beginn. Und tatsächlich wartet die Kräuterexpertin mit geballtem Botanik-Wissen auf. Sie erklärt, warum die Schlehe als frühblühende Pflanze wichtig für die Insekten ist, dass der Löwenzahn sich mit einem Druck von 14 bar seinen Weg selbst durch Asphalt erkämpft – “das ist mehr als in jedem Fahrradreifen” -, und dass die wilde Möhre als “Ururgroßmutter unserer Möhre” zwar sehr lecker ist, aber nichts für Sammel-Anfänger. Sie gehört nämlich zu den Doldenblütlern – und einige Arten davon sind sehr giftig, zum Beispiel der gefleckte Schierling.

Bei den jungen Brombeertrieben dürfen die Spaziergänger aber zugreifen: Die Blüten schmecken nussig, fast nach Kokosnuss. Arzdorf berichtet, dass sie, in der Pfanne angebraten, ein prima Topping für den Salat abgeben.

Der Spaziergang führt weiter vorbei an Spitzwegerich-Pflanzen, die Arzdorf zufolge für Wildkraut-Anfänger meist ein echter Augenöffner seien: Sie wachsen fast überall und sind leicht zu erkennen. Arzdorf, mit einem Blatt in der Hand, fragt in die Runde: “Seht ihr die Rippen, die parallel zueinander laufen? Das ist typisch Wegerich.” Jeder probiert eine Knospe der Pflanze, die eine überraschende Pilznote im Geschmack hat. “Davon ein bis zwei handvoll mit Salz, Pfeffer und Öl in der Pfanne anbraten und zum Beispiel zu Risotto essen”, lautet der nächste Kochtipp.

Nach drei Stunden Kräuterkunde ist die 43-Jährige “platt und glücklich”, sagt sie, und: “Ich hoffe, bei euch ist die Idee hängengeblieben, auch in der Stadtnatur genauer hinzuschauen. Es gibt so viele Lebewesen neben uns.” Vor dem Abschied spendiert sie den Teilnehmenden noch eine Runde Wiesen-After-Eight: ein Stück dunkler Schokolade mit einem Blatt Gundermann, das jeder selbst gepflückt hat. Einige mutige Teilnehmer hatten vorher auch schon Brennnessel probiert, laut Arzdorf ein “unfassbar leckeres Wildgemüse”, das “toll ökologisch verschränkt” ist. Die Brennnessel sei allein für mehr als 40 Schmetterlingsarten essenziell – häufig als Raupenfutter. “Dann lass ich sie in Zukunft im Garten stehen”, ist die prompte Reaktion einer Teilnehmerin.

Überhaupt nehmen die Spaziergänger einiges mit aus dieser Tour, zum Beispiel Sandra, 37 Jahre alt. Die Kölnerin erklärt, dass sie viele Kräuter wiederentdeckt habe, die sie durch ihre Oma schon kannte. “Das war sehr wertvoll, sie wieder ins Gedächtnis gerufen zu bekommen.” Ihre Freundin Alina, 33, will nun an einem der Kochkurse der “wildkräuterei” teilnehmen. Natalia, 35, die gerade eine Säure-Basen-Kur zum Detoxen macht, hätte sich gewünscht, mehr Kräuter zum Mitnehmen zu sammeln. “Aber jetzt weiß ich ja, worauf ich beim nächsten Spaziergang achten muss”, sagt sie.

Und darauf kommt es Arzdorf an: Wissen vermitteln, oder wie sagt: “meinen kleinen Beitrag zu leisten” – für die Natur, für den Erhalt von Biodiversität. “Wenn ich da stehe und erzähle, wachsen mir Flügel.”