Von Christian Stäblein
Der kleine Mensch hält sich am Kreuz fest. Er trägt eine Schwimmweste und kurze Hosen. Mit festem Griff umfasst seine rechte Hand das Kreuz, so kann er sich vorbeugen und das Leuchtfeuer in der linken weit nach vorn strecken. Alles hier signalisiert: Seht hin. Seht den kleinen Jungen. Seht mit ihm alle, die flüchten, die auf dem Mittelmeer um ihr Leben ringen. Und die an der Grenze zwischen Belarus und Polen einen Weg für ihr Leben suchen – benutzt vom Zynismus des belarussischen Präsidenten.
„Seht hin“, sagt der kleine Mensch mit der Fackel in der Linken oben am Kreuz auf dem Dach der Heilig-Kreuz-Kirche in der Zossener Straße in Berlin-Kreuzberg. Der spanische Künstler PEJAC hat diesen kleinen Menschen, der nach Rettung ruft, eine Metallstatue, dort oben „installiert“. Zweimal am Tag, um 12 und um 18 Uhr wird die Fackel angezündet. Seht hin. Um die Figur näher betrachten zu können, hat der Künstler gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche ein Fernglas auf dem Gehweg angebracht. Auch das hat seine eigene, klare Symbolik: Europa hält die Geflüchteten auf Fernglasdistanz. Also dreht das Glas um, zoomt näher ran, seht die kleinen und die großen Menschen, gestrandet, ohne Zuhause, ohne Dach über dem Kopf. „Landless stranded“ heißt diese Kunstinstallation, die bis zum 5. November zu sehen ist. Guckt hin. Man kann es nicht eindrücklicher vor Augen führen.