Der nackte Körper gehört zu den ältesten Motiven in der Kunst. Allerdings hat sich die Umsetzung im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Mit diesem Wandel beschäftigt sich die Ausstellung „Nudes“ im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster. Ab Freitag werden Arbeiten gezeigt, die einen Zeitraum vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart abdecken. „Ob historisch, intim oder politisch – der Akt hat sich immer wieder neu erfunden, um gesellschaftliche Entwicklungen abzubilden“, sagt Kuratorin Tanja Pirsig-Marshall.
Bei den 90 Objekten handelt es sich um Leihgaben aus der Tate in London, ergänzt durch Werke aus der eigenen Sammlung – darunter bekannte Namen wie Auguste Rodin, Francis Bacon, Pablo Picasso, August Macke, Edvard Munch oder die Guerilla Girls. Es ist nach der Henry-Moore-Ausstellung 2016/17 und der großen William-Turner-Ausstellung 2019/20 die dritte Kooperation mit der Tate. „Mit der Ausstellung wollen wir auch ein Statement für Kulturarbeit setzen, die Grenzen überschreitet“, sagt der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Georg Lunemann.
Gemälde aus dem 19. Jahrhundert beschäftigten sich etwa mit Adam und Eva oder Amor und Psyche. „Hier ist der nackte Körper in historische oder biblische Erzählungen eingebettet, wobei in der Regel auch klassische Rollenbilder wie die vom aktiven Mann und der passiven Frau transportiert werden“, erklärt Pirsig-Marshall.
In der Auseinandersetzung der Schau mit dem intimen, privaten Akt steht die monumentale Marmorskulptur „Der Kuss“ von Auguste Rodin im Mittelpunkt, die einen Mann und eine Frau in sinnlicher Umarmung zeigt. „Als sie 1887 erstmals ausgestellt wurde, kam es zu einem Eklat“, erzählt Museumsdirektor Hermann Arnold. „Und selbst 1957 galt sie noch als zu skandalös, um sie auf einem Ausstellungsplakat abzubilden.“ Auch Gemälde wie „Das weinende Mädchen“ von Edvard Munch oder Renoirs „Nackte Frau auf Sofa“ versetzen den Betrachter in eine intime Situation.
Der surreale Akt bestimmt ein weiteres Kapitel der Ausstellung. Hier habe sich die Kunst von erzählerischen Momenten gelöst und fortan für sich stehen können, erläutert Pirsig-Marshall. Damit war auch die Zeit reif für Experimente, wie an Werken von Matisse und Picasso erkennbar ist. Sogar eine Art Peepshow haben die Ausstellungsmacher in den Raum gebaut. Durch kleine Löcher in der Wand kann der Besucher Nacktbilder erspähen.
Realistische Aktdarstellungen kamen nach dem Ersten Weltkrieg mit seinen Grausamkeiten und seinem Leid auf. Die Künstler wollten nicht mehr idealisieren, sondern den nackten Körper ungeschönt zeigen, erläutern die Ausstellungsmacher. Ein Beispiel ist das Gemälde „Hiob“ von Francis Gruber, das einen abgemagerten Mann zeigt, der auf einem Stuhl kauert – zwar in der Pose des Denkenden, hier aber eher an einen Verzweifelten erinnernd.
Unter der Überschrift „Body Politics“ zieht das Aktgemälde „Paul Rosano, liegend“ von Sylvia Sligh den Blick auf sich. Sie war in den 1970er Jahren eine Protagonistin der New Yorker Kunstszene und erforschte die Dynamik des weiblichen Begehrens. Ihre Darstellung des nackt auf einer rosafarbenen Decke liegenden Musikers Rosano ist realistisch und detailgetreu ausgeführt, zitiert dabei aber auch den klassisch-männlichen Blick auf den weiblichen Körper. Auch erste Fotoarbeiten mit schwarzen Frauen als Motiv finden sich hier.