„Auf die Altersmedizin in Deutschland rollt ein Tsunami zu.“ Schon 2017 griff die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie zu starken Worten, um auf die Folgen des demografischen Wandels für das Gesundheitssystem aufmerksam zu machen. Die Krankenkasse AOK mahnte an, dass Deutschlands Krankenhäuser auf die zunehmende Alterung der Patientinnen und Patienten nicht vorbereitet seien.
Einerseits gehen immer mehr Babyboomer in Rente – mit Folgen auch für das Personal in den Krankenhäusern: Die Zahl der Menschen im Erwerbsalter wird in den kommenden 15 Jahren um 1,6 bis 4,8 Millionen Menschen sinken. Die Zahl der über 80-Jährigen bleibt zunächst zwar noch stabil zwischen 5,8 und 6,7 Millionen. Doch in den 2050er und 2060er Jahren werden dann zwischen 7 und 10 Millionen hochaltrige Menschen in der Bundesrepublik leben.
Steigender Anteil bei Krankenhausfällen
Weniger Personal und immer mehr hochaltrige Patienten: Darauf seien die Kliniken nur ungenügend vorbereitet, heißt es in dem in Berlin veröffentlichten Krankenhaus-Report der AOK. Schon in den vergangenen 20 Jahren ist der Anteil der Menschen über 80 Jahren an allen Krankenhausfällen kontinuierlich gestiegen – von 13 Prozent 2005 auf 22 Prozent 2023.
Das Problem: Bei den Hochaltrigen liegen meist mehrere Erkrankungen gleichzeitig vor. Zudem haben sie beispielsweise infolge von Demenz oder starker Gebrechlichkeit oft einen besonders hohen medizinischen und pflegerischen Bedarf. Demenzpatienten sind oft desorientiert in der neuen Umgebung.
Das hat auch ökonomische Auswirkungen: Die Krankenhaus-Verweildauer ist bei den Patientinnen und Patienten über 80 Jahren mit 8,1 Tagen fast doppelt so hoch wie bei den Menschen unter 60. Die durchschnittlichen Krankenhaus-Kosten waren bei den über 80-Jährigen mit 3.351 Euro im Jahr 2023 fast sieben Mal so hoch wie bei den unter 60-Jährigen mit 470 Euro.
Viele Kliniken – viele Einweisungen
Die Zahlen legen auch Fehlsteuerungen nahe: Während 2023 im Land NRW mit der höchsten Krankenhausdichte im Schnitt 68 Krankenhaus-Aufenthalte Hochbetagter je 100 Einwohner zu verzeichnen waren, waren es in Baden-Württemberg nur 50 Klinikbehandlungen je 100 Einwohner. „Überspitzt könnte man sagen: Wo es besonders viele Krankenhäuser gibt, landen auch besonders viele Hochbetagte in der Klinik“, sagte David Scheller-Kreinsen, Mitherausgeber des Reports.
Ein Schlüssel zur Lösung des Problems liegt aus Sicht der Autoren in einer besseren ambulanten Versorgung pflegebedürftiger Patientinnen und Patienten: Dadurch könnten nach der Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) rund 1,4 Millionen Krankenhaus-Aufenthalte pro Jahr vermieden werden. Das entspricht etwa 36 Prozent aller Krankenhausfälle pflegebedürftiger Personen.
Ambulante Versorgung stärken
Der Krankenhaus-Report zeigt verschiedene Ansätze auf, wie die Versorgungsstrukturen verbessert werden können, um eine Überforderung der Kliniken zu verhindern. „Wir müssen dafür sorgen, dass nur die Menschen im Krankenhaus behandelt werden, deren stationäre Behandlung nicht vermieden werden kann“, so Scheller-Kreinsen. Eine ambulante Versorgung sei für die Betroffenen in der Regel medizinisch sinnvoller, ökonomisch günstiger und könne helfen, die kostbaren Krankenhaus-Ressourcen “sparsam und zukunftsfest“ einzusetzen.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, begrüßte die noch von der Ampel-Koalition geplanten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen – also etwa kleinere Krankenhäuser, die neben eingeschränkten stationären auch erweiterte ambulante sowie medizinisch-pflegerische Leistungen anbieten. „Der Fokus sollte dabei ganz klar auf der ambulanten Versorgung mit Übernachtungsmöglichkeit und auf der Anschlussversorgung nach einem Krankenhausaufenthalt liegen“, forderte sie. Gerade hochbetagte Menschen, die keine High-Tech-Medizin in einem Akut-Krankenhaus benötigten, sondern hauptsächlich gute pflegerische Betreuung und Überwachung, könnten von dieser Versorgungsform profitieren.
Mehr in Prävention investieren
Eine veränderte Versorgung Hochaltriger vor und nach einem Krankenhaus-Aufenthalt forderte auch Clemens Becker vom Geriatrischen Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg. „Wir müssen runter mit den Ausgaben für Arzneimittel und die stationäre Versorgung und stattdessen mehr in die Allgemeinmedizin und die Prävention investieren.“ Dänemark und die Niederlande hätten bereits entsprechende Weichenstellungen vorgenommen, so der Experte.