Artikel teilen

Das Puzzle aus der Bibel

Immer wenn Christoph Schroeder über einen Text aus dem Johannes-Evangelium predigen musste, tat er sich schwer. Dann begann der Pastor, sich mit den Bibelstellen zu beschäftigen. Herausgekommen ist ein Buch.

Die Fülle ist mehr als ein Obststand auf dem Markt. Pastor Schroeder zeigt sein Werk „Das Leben in Fülle“
Die Fülle ist mehr als ein Obststand auf dem Markt. Pastor Schroeder zeigt sein Werk „Das Leben in Fülle“Catharina Volkert

Großhansdorf. Tübingen 1983: Ein junger Theologiestudent hört eine Vorlesung zum Johannes-Evangelium. Sein Professor spricht von Heil und Unheil, Errettung für diejenigen, die an Jesus von Nazareth glaubten, Verdammnis für die Ungläubigen. Der Student stutzt.
Der junge Theologe ist Christoph Schroeder. „Mir missfiel das, was ich hörte“, erinnert er sich. Verdammen und Erlösung – so etwas wollte er später nicht von der Kanzel predigen.
Christoph Schroeder ist heute Pastor in Großhansdorf. Sein 416 Seiten starkes Buch „Das Leben in Fülle – eine Theologie des Johannes-Evangeliums“ ist im Frühjahr dieses Jahres erschienen. Das Pfarramt brachte ihn dazu. Und seine Freude am Knobeln, Puzzeln und Rätseln. Schließlich sind die sonntäglichen Predigttexte in der Perikopenordnung vorgeschrieben. „Ich wurde also gezwungen, über Johannes zu predigen“, sagt er. Hinzu kam die Musik. Schroeder singt im Gemeindechor, beschäftigte sich mit der Johannes-Passion. Sie brachte ihm das fremde Evangelium näher. „Ich merkte immer mehr, wie tief das Werk im Judentum verwurzelt ist“, erinnert er sich.

Motive aus dem Judentum

Der Pastor bemühte sich, das Evangelium zu verstehen – und bereitete Vorträge für seine Gemeinde vor. Er las die frühchristlichen Texte im Urtext, achtete auf inhaltliche Verbindungen, Querverweise, Wiederholungen. Der Bibeltext wurde zum Puzzle. Er setzte Teilchen für Teilchen die Antwort auf die Frage zusammen, ob das Evangelium ein antisemitisches Werk sei. „Ich merkte, dass viele Motive explizit aus dem Judentum kommen, es musste also in einer jüdischen Gruppe entstanden sein“, erklärt Schroeder. Das Passah-Mahl oder die Schlange in der Wüste sind zwei von vielen Motiven des Judentums, die bei Johannes zentral sind.
Als Gemeindepastor und Vater von vier Kindern war die wissenschaftliche Arbeit Schroeders Abendbeschäftigung. „Es ist ein enormes Privileg, sich als Pastor die Zeit nehmen zu können“, sagt er. Über vier, fünf Jahre arbeitete er sich durch das Evangelium. Aus Erkenntnissen wurden Gemeindeabende. Das Korrekturlesen der fertigen Kapitel übernahm sein Schwager, der ebenfalls Theologe ist. Außerdem nahm Schroeder an wissenschaftlichen Tagungen teil. „Es ist eine eigene Auslegung im Gespräch mit der Forschung geworden“, resümiert der Pastor.
Sein Ergebnis: Das Johannes-Evangelium erzählt von einem innerjüdischen Konflikt – es geht um die Frage, ob Jesus als Messias gekommen ist. Es geht nicht um die Frage von Glaube und Unglaube, sondern es geht um das Heil für alle. Die einen nehmen es an, die anderen nicht. „Aber das heißt nicht, dass sie verdammt sind“, betont Schroeder.

Jahresmotto lieferte Buch-Titel

„Leben in Fülle“ – die Worte aus dem 10. Kapitel des Johannes-Evangeliums haben einen biographischen Bezug. „Ich habe nach meinem Studium ein Provikariat in Brasilien gemacht. Das Jahresmotto war in der Gemeinde ‚Das Leben in Fülle‘. Das hat sich bei mir festgesetzt“, sagt Schroeder. Fülle ist mehr als Konsum, das wurde ihm dort bewusst.
Als das Buch auf dem Markt war, stellte er es seiner Gemeinde vor. Die war überrascht – ihr Pastor als Autor? „Ich hatte nie etwas gesagt, ich wusste doch nicht, wohin das führt“, sagt er. Das Werk zu vollenden, einen Verlag zu finden, es gab viele ungewisse Faktoren. Während des Gemeindeabends über sein Werk war Schroeder selbst überrascht, dass die Kirche gut gefüllt war. Er brachte zehn Bücher zum Verkauf mit – alle zehn Exemplare wurde er an diesem Abend los. Schroeders „Leben in Fülle“ ist für die Wissenschaft und für ein theologisch interessiertes Publikum geeignet. Die Fußnoten stehen im Anhang – und die wissenschaftliche Verortung gleich zu Beginn des Werkes. „Ab Seite 75 ist es dann für alle gut lesbar“, sagt der Pastor mit einem Augenzwinkern.