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Das Ostjerusalemer Dorf Umm Tuba kämpft um sein Land

Seit Jahren treibt Israel seinen Siedlungsbau auf offenen Gebieten Ostjerusalems voran. Erstmals sei nun Land genommen worden, auf dem Palästinenser legal gebaut haben, sagen Betroffene. Sie fürchten einen Präzedenzfall.

Als Hassan Abu Teir im Januar seinen Bauantrag bei der Jerusalemer Stadtverwaltung stellte, richtete er sich auf lange Genehmigungszeiten ein. Dass sein Antrag abgelehnt würde, damit rechnete er nicht. Noch weniger mit der Begründung: Das Land, seit Generationen in Familienbesitz, gehöre ihm gar nicht, hieß es darin. Erst der Bauantrag brachte es ans Licht: Der zionistische “Jüdische Nationalfonds” (JNF) hat das Land Hassans und weiterer Familien aus dem zu Ostjerusalem gehörenden Dorf Umm Tuba stillschweigend unter seinem Namen registriert. 40 Häuser und 150 Menschen sind betroffen. Das Dorf hofft nun auf Unterstützung durch Israels Oberstes Gericht.

Abu Teir informierte die Dorfbewohner. Was sie herausfanden, war alarmierend. Im Mai 2023 hat demnach der JNF, der enge Verbindungen zur israelischen Regierung pflegt, weite Teile des Landes von Umm Tuba registrieren lassen. Es geht um 64 Dunum, 6,4 Hektar, davon 20 bebautes Land – Land, das “seit Jahrhunderten” den Dorfbewohnern gehört, beteuert Abu Teir. “Ein Unglück fiel über uns herein”, so der 50-Jährige. Vom Großvater auf den Vater auf ihn, den Sohn, sei sein Land stets übergegangen – um eines Tages auf seinen eigenen Sohn überzugehen. Doch nun?

Wenn die Landnahme erfolgreich sei, “werden wir ohne Obdach sein”, sagen sie in Umm Tuba. Rund 5.000 Menschen leben hier, alle tragen den Nachnamen “Abu Teir”. Kaum einer hat die israelische Staatsbürgerschaft angenommen. Die Mehrheit besitzt die sogenannte “Jerusalem-ID”, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, die entzogen werden kann, wenn etwa ein Inhaber nicht beweisen kann, dass sein Lebensmittelpunkt in Jerusalem ist.

Als Kind habe er seine Zeit auf dem Abu-Ghneim-Berg verbracht, erzählt Hassan. Er zeigt auf den gegenüberliegenden Hügel im Dreieck Jerusalem, Bethlehem und Beit Sahur. Umm Tuba liegt am südöstlichen Rand Jerusalems. Von hier fallen die Hügel ab zur Wüste. Die Lage macht den Ort zu einem wichtigen Bindeglied zu den besetzten palästinensischen Gebieten. Einst soll hier laut Anhängern der Zwei-Staaten-Lösung ein eigenständiger Staat Palästina mit Ostjerusalem als Hauptstadt entstehen.

Statt der Oliven der Abu Teirs zieht sich heute die israelische Siedlung Har Homa über den Abu Ghneim. 354 Dunum musste Umm Tuba nach Angaben des palästinensischen Instituts für angewandte Forschung – Jerusalem für ihren Bau abgeben. Die geplanten Siedlungen Givat HaMatos und Lower Aqueduct sollen westlich oberhalb des Dorfes entstehen. Sie seien darauf angelegt, sagen Aktivisten wie jene der Jerusalemer Nichtregierungsorganisation “Ir Amim” (Stadt der Völker), den Osten des von Israel vollständig als Hauptstadt beanspruchten Jerusalems vom Westjordanland zu trennen.

Der Fall Umm Tuba steht für eine neue Bedrohung der leidgeprüften Palästinenser in Ostjerusalem. “In all den Jahren hat Israel zwar immer schon Land in offenen Gebieten beschlagnahmt. Dieses Land hier ist aber kein offenes Gebiet. Es ist Land, auf dem nach israelischem Recht legal gebaut wurde”, sagt Aviv Tatarsky von Ir Amim. Der Fall lasse sich auch nicht mit Vertreibungen in Ostjerusalemer Vierteln wie Scheich Jarrah vergleichen, bei denen mit jüdischen Ansprüchen aus der Zeit vor dem Unabhängigkeitskrieg 1948 argumentiert wurde. Mit der Erteilung der Baugenehmigungen habe die Stadt vielmehr das Recht der Menschen auf das Land anerkannt.

Dieser “neue Mechanismus” der Aneignung von Privatland gefährdet aus Sicht des Aktivisten jeden Ostjerusalemer. Die Frage der Landregistrierungen sei komplex, die (Nicht-)Registrierung von Privatland durch den Staat oft ein politisches Mittel gegen die Palästinenser. Der konkrete Fall aber sei “vollkommen gesetzeswidrig”. Das Gesetz nämlich schreibe Transparenz bei Grundbuchänderungen vor. Sie müssten öffentlich gemacht werden, damit potenzielle Ansprüche angemeldet werden könnten. In Umm Tuba wurden die Bewohner vor vollendete Tatsachen gestellt.

Dieser Rechtsbruch ist der zentrale Ansatz für den Einspruch der Dorfbewohner beim obersten israelischen Gerichtshof. “Wir haben dieses Land von niemandem gestohlen. Wir sind hier geboren. Wir haben niemanden gesehen, der unser Land gestürmt und Ansprüche erhoben hätte”, sagt Yousef Abu Teir. Auch er ist von der JNF-Landnahme betroffen.

Die Abu Teirs fordern eine Annullierung der Überschreibung an den JNF. Am 8. Oktober soll das Gericht entscheiden, ob es ihre Petition annimmt. Eine Prognose zum Ausgang eines möglichen Verfahrens wagt Aviv Tatarsky nicht. Zu neu sei das israelische Vorgehen. Optimistisch ist er nicht. Das Gericht sei Teil des “ungerechten israelischen Systems”. Der Ausgang wiederum werde erhebliche Auswirkungen nicht nur für dieses Dorf haben, glaubt der Aktivist. “Alles, was hier passiert, könnte sich dann im besetzten Westjordanland ereignen.”