Ein kühler Sommerabend, kurz vor 19 Uhr. Die Petristube ist bereits gut gefüllt. Hier trifft sich der Gesprächskreis „Wagenrad“ jeden zweiten Dienstag von 19 bis 21 Uhr. „Ja, so ist das, wenn ein Gesprächskreis aus Rentnern besteht“, sagt Renate Böker. „Die sind pünktlich.“ Und jetzt in der Vorsaison seien bereits einige im Urlaub.
Glückliche und schwere Zeiten im Leben
Trotzdem sind in dem Raum des Gemeindehauses der evangelischen Petrigemeinde in Bielefeld 18 Plätze belegt. „Wenn alle da sind, sind wir 24“, sagt Renate Böker. Sie gehört zum Mitarbeiterteam des Gesprächskreises. Seit 40 Jahren besteht dieser Kreis, sie ist eine Frau der ersten Stunde. Auch ihr Mann Dieter war von Anfang an dabei.
„Das Leben ist eine tolle Sache“, sagt Dieter Böker. Mit diesem Zitat des Politikers Franz Müntefering eröffnet Böker den gemeinsamen Abend. Es geht darum, wie man dem Leben positive Seiten abgewinnt, wie man mit den Mühen des Lebens umgeht. Und es geht um Sterbehilfe. In diesem Zusammenhang hat Müntefering auch jenen Satz gesagt.
„In unserem Alter fragt man sich manchmal schon, ob das Leben wirklich so toll ist. Was fällt euch dazu ein?“ Jetzt sind alle aufgefordert, etwas dazu zu sagen. Wichtig dabei: Es wird nichts kommentiert, die Aussagen sollen einfach so stehen bleiben.
„Das Leben ist schön, wenn man Großeltern wird“, sagt eine Frau, die eben Oma geworden ist. Eine andere meint: „Das Leben ist dann eine tolle Sache, wenn man mit Gott unterwegs ist.“ Fast jede und jeder äußert sich dazu. Dabei wird einerseits Dankbarkeit deutlich für die Möglichkeiten, die jemand im Leben hatte oder für 70 Jahre Frieden in Deutschland. Andererseits ist bei manchen auch zu spüren, dass ihr Leben nicht immer einfach war und sie manches tragen müssen.
Zurück zu Franz Müntefering. Renate Böker erzählt, sie habe ihn zu diesem Thema angeschrieben. Innerhalb von zwei Tagen hat er geantwortet. Das hat sie gefreut. „Er schreibt, es gibt uns alle nur einmal und es geht ihm um die Würde des Menschen. Darum, dass Menschen am Ende ihres Lebens beim Sterben geholfen wird, aber nicht beim Töten.“ Renate Böker fasst das, was er ihr geschrieben hat, für die Gruppe zusammen. „Er findet, man darf die Hilfe beim Töten nicht als aktive Sterbehilfe bezeichnen. Aktive Sterbehilfe ist für ihn, wenn jemand einen anderen beim Sterben begleitet, für ihn da ist, die Hand hält oder dafür sorgt, dass die Schmerzen erträglich sind.“
Renate Böker fordert die Gruppe zum Austausch auf. „Was geht euch durch den Kopf, wenn ihr das hört?“ Erst einmal ist es eine Weile still. Alle scheinen in ihren Gedanken dem Gehörten nachzuhängen. Doch dann kommt ein lebhaftes Gespräch in Gang.
Irgendwann ist Pause. Auf den Tischen stehen Kekse und andere Süßigkeiten. An der Bar wird Tee ausgeschenkt. Die frisch gebackenen Großeltern haben Kuchen mitgebracht, um ihr Glück mit den anderen auf diese Weise zu teilen.
„So eine Pause haben wir eigentlich immer“, sagt Renate Böker. Dieser Gesprächskreis liegt ihr sehr am Herzen. „Alle zwei Wochen trifft sich das Mitarbeiterteam“, erklärt sie. „Wir sind zu zehnt. Manchmal bereiten wir den Abend gemeinsam vor, manchmal übernimmt es ein Einzelner“, sagt Helmar Cappel, eine weitere Mitarbeiterin. Wichtig ist ihnen, dass sich die Menschen austauschen und Fragen stellen können. „Und dass es um den Glauben geht. Wir nennen uns Wagenrad – wie die Speichen zur Achse, so sollen uns die Fragen, die uns bewegen, hinführen zu Jesus, zur Mitte unseres Lebens.“
Der Abend endet überpünktlich
Es ist ein relativ fester Kreis. „In unseren Anfangsjahren gab es viel Wechsel“, sagt Renate Böker. „Jetzt kommen gelegentlich neue Leute dazu.“ Zu den Abenden kommen Paare wie auch Alleinlebende. Das Mitarbeiterteam besteht nur aus Ehrenamtlichen. Unter ihnen ist auch Hartwig Lücke, Pfarrer im Ruhestand, der den Kreis noch aus seiner aktiven Zeit in der Gemeinde kennt.
Es geht weiter. In der zweiten Hälfte spricht Karin Lücke über das Thema des Buches „Leben dürfen – leben müssen“ von Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. In der anschließenden Gesprächsrunde wird so manches Erlebnis von der Begleitung Sterbender erzählt. Zum Abschluss wird ein Lied gesungen – die glücklichen Großeltern wünschen sich „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“.
Um 20.54 Uhr ist der Raum fast leer. Renate Böker und Helmar Cappel schauen, ob alles sauber und aufgeräumt ist und schließen ab. In zwei Wochen steht ein leichteres Thema auf dem Programm, sagt Renate Böker. „Da gibt es einen Rätselabend.“