Trotz Erfolg voller Zweifel: Menschen mit dem Hochstapler-Syndrom glauben nicht an sich selbst – und noch nicht einmal ihrem besten Freund. Oft leiden Betroffene im Stillen. Wann sie Hilfe brauchen.
Schaffe ich die Prüfung? Finde ich einen neuen Job? Selbstzweifel hat vermutlich jede und jeder schon einmal erlebt. Bei manchen Menschen steigern sie sich allerdings bis hin zur Selbst-Verneinung. Trotz guter Leistungen glauben Betroffene nicht an ihr Können. Komplimente und Wertschätzung anderer nehmen sie nur schwer an. Das Phänomen heißt auch “Impostor-Syndrom” oder: “Hochstapler-Syndrom”.
Der Begriff stammt aus den 1970er Jahren. Die Psychologin Pauline Clance beschrieb damit einen Stresszustand: Betroffene empfinden persönlichen Erfolg als unverdient – und sie haben Angst davor, als vermeintliche Betrüger entlarvt zu werden.
Mediziner stufen das Phänomen allerdings bis heute nicht als psychologische Störung ein. “Das Impostor-Syndrom ist ein psychisches Syndrom, aber keine Diagnose”, sagt Stefan Röpke, Ärztlicher Direktor und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg. “Der Begriff ist nicht so scharf abgrenzbar wie eine psychische Erkrankung.”
Medizinisch gibt es deshalb bislang keine eindeutige Klassifizierung. Einige Wissenschaftler versuchten den Begriff einzugrenzen auf Menschen, deren Leiden ein klinisches Ausmaß annimmt. Auch nach strengeren Kriterien ist das Phänomen jedoch laut Studien schwer fassbar und weit verbreitet. Eine oft zitierte US-Studie aus dem Jahr 2011 ergab, dass ungefähr 70 Prozent aller Menschen schon einmal Symptome des Impostor-Syndroms erlebt haben.
Ob und welche Therapie nötig ist, lässt sich so nur schwer sagen: Die Symptome sind vielfältig und unterschiedlich stark – sie reichen von vorübergehendem Lampenfieber bis hin zu chronischem Stress. Auslöser sind oft Veränderungen im persönlichen Lebenslauf wie zum Beispiel eine Beförderung im Job oder das erste Date. Frauen sind durchschnittlich häufiger betroffen als Männer. Oft sind es Menschen in Führungspositionen – die trotz Karriereerfolgs mit sich selbst hadern.
Wer am Impostor-Syndrom leidet, vermeidet herausfordernde Situationen des Öfteren. Betroffene geben etwa vor, krank zu sein oder treten anspruchsvolle Aufgaben ab. Andere haben so starke Selbstzweifel, dass sie selbst Freunden und Kollegen misstrauen: Ist das Lob ernst gemeint? Lächelt sie – oder lacht sie mich aus? In schweren Fällen entwickeln Betroffene psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen.
Mediziner vermuten, dass sowohl persönliche Erfahrungen als auch Veranlagungen eine Rolle spielen: “Menschen, die detailbesessen oder sehr genau sind, haben ein größeres Risiko”, sagt Röpke. “Hohe Erwartungen im Elternhaus können dazu führen, dass wir auch später höhere Ansprüche an uns haben.”
Das aber führe nicht automatisch zu gesundheitlichen Problemen. “Viele Menschen schaffen es, selbst zur Ruhe zu kommen”, sagt Röpke. “Bei leichterer Form hilft die Gewöhnung und die Fokussierung auf die eigenen Stärken.” Gespräche mit engen Vertrauten könnten ebenfalls dazu beitragen, eine allzu kritische Selbstwahrnehmung zu hinterfragen.