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Das Gute behaltet

Es ist nicht jedermanns Sache, sich zu verkleiden und Karneval zu feiern. Besonders die Kirchen haben das bunte Treiben Jahrhunderte lang verurteilt. Heute ist das anders. Pfarrer Holger Pyka weiß, warum Kirche und Karneval zusammen passen.

Für die einen ist es die beste Zeit des Jahres, die anderen wollen nichts damit zu tun haben: Karneval. Pfarrer Holger Pyka hat ein Buch über das Thema geschrieben: „Vom Sittlichkeitskampf zur Büttenpredigt“. Karin Ilgenfritz sprach mit dem promovierten Theologen darüber.

Christen und Karneval – passt das zusammen?
Das ist eine Frage, die ich mir nie gestellt habe. Ich bin Kölner. Da wächst man mit Karneval auf und wächst auch in das Feiern rein.

Egal, ob Christ oder nicht?
Genau. Das ist keine Frage. Viele Kirchengemeinden im Rheinland haben eigene Karnevalsveranstaltungen im Programm oder beteiligen sich ganz selbstverständlich an Veranstaltungen. Gemeinden bieten Kinder- oder Seniorenkarneval. Oft ist der Gottesdienst vor dem Rosenmontag als eine Art Karnevalsgottesdienst angelegt. Da ist etwa die Predigt in Form einer Büttenrede oder in Mundart.

Dass die Kirchen so gut mit Karneval klarkommen, war aber nicht schon immer so, oder?
Das war unterschiedlich. Falsch ist auf jeden Fall die Annahme, dass die katholische Kirche da immer lockerer gewesen wäre. Martin Luther hatte nichts gegen Fastnacht. Der Karneval, wie er heute in Köln gefeiert wird, ist noch eine relativ junge Erscheinung. Seit 1823 gibt es ihn in dieser Form. Nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920ern war er verboten. Als es wieder losging, haben evangelische wie katholische Kirche Allianzen dagegen gebildet. Im Laufe der Jahrzehnte hat ein Mentalitätswandel stattgefunden.

Wie kann man sich das erklären?
Die Kirchen sehen sich heute nicht mehr als Gegenpol zum Weltlichen, sondern gestalten die Welt mit. Da gibt es viel mehr Offenheit. In den letzten 30 Jahren haben die Kirchen entdeckt, dass sie auch Karneval mitgestalten können.

Wie kann das aussehen?
Der Deutsche Evangelische Kirchentag hatte schon einen eigenen Wagen beim Karnevalsumzug in Köln. Dann gibt es die Prot‘s Sitzung, das ist protestantischer Karneval.

Karneval hat verschiedene Gesichter?
Ja. Es gibt zwei Arten von Karneval. Da ist der Straßenkarneval mit all den Umzügen. Mit dem Feiern in den Kneipen. Das ist alles ziemlich unorganisiert. Daneben gibt es dann die Saalfastnacht mit den Prunksitzungen der großen Karnevalsgesellschaften. Daraus entstand übrigens die Stunksitzung. Das ist eine Parodie auf die Prunksitzungen, eine alternative kabarettistische Sitzung im Kölner Karneval. Aus der wiederum ist die Prot‘s Sitzung entstanden.

Was liegt Ihnen mehr?
Prunksitzung ist nicht meins. Mir gefällt vor allem der Straßenkarneval. Die Umzüge, durch Kneipen zu ziehen. Super, was manche auf die Beine stellen. Es ist erstaunlich, was es an tollen Wagen gibt, an Verkleidungen.

Was begeistert Sie daran so?
Ich feiere einfach gern. Und ich habe große Lust am Verkleiden. Das finde ich herrlich. Man verkleidet sich, maskiert sich aber nicht. Das heißt, man bleibt erkennbar als der, der man ist. Mit der Verkleidung beziehe ich auch Stellung. Das ist ein großer Spaß.

Wie meinen Sie das?
In dem Jahr, als Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, habe ich mich als verprügelte Freiheitsstatue verkleidet. Das ist eine deutliche Meinungs-äußerung. Ich bin auch schon als Känguru gegangen – da wussten andere auch gleich, dass ich die Känguru-Chroniken mag. Einmal war ich „Holger, die Waldfee“. Das war allerdings kein politisches Statement, sondern eher ein dreidimensionales Sprachspiel. So etwas mag ich auch gern.
Jede Verkleidung verrät auch etwas über mich. Das hat mit Identität zu tun. Ich bin auch schon als „Dschungel-Camp“ gegangen und hatte Gummibärchen in Form von Würmern und Spinnen dabei. Da konnte ich Prüfungen mit anderen machen. Das war interaktiv und witzig.

Verkleidung als Rolle – als Teil, was man sich sonst nicht so zu leben traut?
Ja, auf jeden Fall. Im Karneval kann man Seiten leben, die sonst im Alltag nicht so zu Tage treten. Karneval hat eine Ventilfunktion. Da kann man Dinge machen, die man sich sonst nicht traut.

Zum Beispiel?
Man flirtet anders. Auch Tränen dürfen fließen. Bei mir kommt ein enthemmter Köln-Stolz raus. Ich singe sämtliche Lieder laut mit und verfalle voll in den Kölner Dialekt, den ich im Alltag kaum spreche. Und ich werde manchmal sehr sentimental. Das sind durchaus auch Tränen, die während des Jahres unterdrückt werden.

Das klingt alles recht gut. Aber Karneval hat auch deutliche Schattenseiten.
Klar. Viele Kritiker finden, dass zu viel Alkohol fließt. Und das ist auch so. Manches kann man nur im angeschickerten Zustand ertragen. Aber Umzüge anschauen oder die Stunksitzung besuchen, das geht sehr gut ohne Alkohol. Dann wird oft kritisiert, dass man auf Knopfdruck fröhlich sein soll und auf Kommando lachen muss. Das sehe ich aber anders. Wenn man eine gewisse Grundbereitschaft hat, kann man sich mitreißen lassen.
Und natürlich wird da auch sehr viel rein aus wirtschaftlichem Kalkül gestaltet – am Karneval verdienen eine Menge Leute. Aber genauso gibt es viele Initiativen, die sich gegen diese Ökonomisierung wenden und in kleinen ehrenamtlichen Initiativen Stadtteilarbeit machen.

Zurück zu der Frage, was Christinnen und Christen dürfen.
Ich würde sagen, wenn man Geburtstag, Silvester und sonst was feiert, dann darf man auch Karneval feiern. Die Frage ist doch eher: Tut es dir gut? Wenn ja, dann feiere. Wenn nein, dann lass es. Wenn du beim Verkleiden neue Seiten an dir oder Gott entdeckst – warum nicht? Da würde ich es wie Paulus halten: Prüfet alles und das Gute behaltet.

Buchhinweis: Holger Pyka: Vom Sittlichkeitskampf zur Büttenpredigt: Protestantische Karnevalsrezeption und Transformationen konfessioneller Mentalität. Kohlhammer Verlag, 384 Seiten, 42 Euro.