Es ist KonfiCamp-Zeit und wir sind 10 Tage in Naumburg/Saale mit den Konfirmand*innen, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und beruflichen Mitarbeitenden. Sie kommen aus dem Kirchenkreis Oderland-Spree, der Juri-Gagarin-Oberschule Fürstenwalde/Spree und der Partnerkirche in Kenia. Alle zusammen etwa 250 Menschen. Rein statistisch müssten sich hier 20 bis 25 Personen zum queeren Spektrum zählen. Das ist nicht nur Statistik, es ist auch Realität.
Deshalb weht hier auch eine Regenbogenflagge, weil einige Jugendliche auch gern zum Christopher Street Day (CSD) am Wochenende in Berlin gegangen wären. Das KonfiCamp ist ihnen aber wichtiger. Hier erleben sie Bestärkung als glaubende Menschen, Zugehörigkeit und Freiräume. Und wenn sie nicht nach Berlin können, dann feiern sie halt hier einen kleinen CSD im Camp, so wie im vergangenen Jahr: Regenbogenflagge hissen, weitere Flaggen als Umhänge nutzen, bunt schminken und Glitzer verteilen – das Leben und die Vielfalt feiern. Nicht alle sind begeistert und vielen ist es egal, aber sie sind zumindest einmal im Camp sichtbar und zeigen den anderen Jugendlichen: Auch du kannst hier so sein, wie du bist.
Berlin Pride: Ein Fest des (Über-)Lebens
Das ist im Kleinen wie im Großen: Der CSD in Berlin, ein Fest des (Über-)Lebens und der Vielfalt. Eine Demonstration für mehr Respekt und Akzeptanz. Nicht alle sind davon begeistert, vielen ist es egal. Gott sei Dank gibt es hier in Naumburg und dort in Berlin auch viele, die sich darüber freuen, dass Menschen zu sich und ihrer Identität öffentlich stehen. Das ist nicht selbstverständlich, obwohl Jesus schon für Minderheiten eintrat.
Ich bin froh und dankbar, dass sich unsere Jugendlichen hier im Camp sicher genug fühlen, um ihre Identität zu leben. Da ist viel passiert in unserer Kirche – allen voran durch den Kirchentag, kirchliche Arbeitsgruppen und die Evangelische Jugend. Und Gott sei Dank arbeiten wir weiter daran.
Für mich ist die Beteiligung unserer Landeskirche am CSD ein starkes und wichtiges Zeichen, gerade weil wir in der Parade mit einem eigenen Wagen sehr präsent sind. Und es ist nur konsequent nach den Beschlüssen zur Öffnung der Ehe und dem Schuldbekenntnis unserer Landeskirche. Sonst blieben diese Verlautbarungen nur Papiere mit schönen Worten. Unsere Kirche übernimmt Verantwortung und zeigt mit dem Wagen Haltung: Ein Bekenntnis zu allen Nuancen von Gottes großer Schöpfung. Das macht mich stolz.
Dennoch löst das Verhalten Einzelner in verantwortlichen Positionen in mir immer wieder Zweifel aus, ob unsere Kirche es wirklich verstanden hat, was sie beschließt und bekennt. Dabei ist es gar nicht so schwer, für alle ein gutes Umfeld zu schaffen, egal ob Teil einer Minderheit oder nicht. Ich meine, es geht letztlich wie in der Seelsorge darum, zuzuhören, ernst zu nehmen und interessiert zu bleiben an den Hintergründen von Handlungsweisen und Einstellungen. Wenn wir das miteinander einüben – da nehme ich mich nicht aus – dann könnte unsere Kirche wirklich queersensibel werden.
Queere Kirche: Es braucht keine weiteren Papiere
Dann könnte es gelingen, dass Gottesdienste auch sprachlich die Offenheit zeigen, die wir leben wollen. Oder in der Personalverwaltung würde mehr darauf geachtet, wo queere Personen ein sensibles Arbeitsumfeld vorfinden können. Oder wie in den Arbeitsbereichen unterbewusst heterosexuelle Lebensmodelle weiterhin sichtbarerer sind als andere.
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Dafür braucht es aus meiner Sicht keine weiteren Papiere und Konzepte. Es kommt für mich auf die Nuancen im Miteinander an: Wie rede ich über Menschen, die anders leben als ich? Was bezeichne ich als normal? Gibt es bei uns die Möglichkeit und die Offenheit, dass Menschen ihr Unwohlsein mit Aussagen und Verhaltensweisen formulieren, ohne dass Angesprochene gleich beleidigt oder nachtragend sind?
Das gibt es in unserer Kirche schon und das darf es noch an viel mehr Orten in unserer Kirche geben. So einen Umgang vermitteln wir unseren Jugendlichen und sie zeigen uns: Es geht. Wenn Verletzungen passieren, sprechen wir darüber und finden Wege, wie unser Zusammenleben in diesem Camp weitergehen kann. Da können wir viel für unsere Gesprächskultur in den Kirchengemeinden lernen.
Kevin Jessa ist Pfarrer in Fürstenwalde im Kirchenkreis Oderland-Spree