Wie oft erleben Sie in der Allgemeinen Sozialen Beratung, dass Menschen wegen hoher Mieten in Not geraten?
Mechthild Patzelt: Zahlen kann ich da leider nicht nennen, weil das in unserer Statistik nicht erfasst wird. Aber gefühlt laufen bei mir und meinem Kollegen in der Schuldnerberatung seit Monaten verstärkt Menschen auf, die Mietschulden haben oder sogar eine Räumungsklage wegen nicht bezahlter Mieten. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen. Immer wieder habe ich auch Menschen in der Beratung, die nach Trennung oder Scheidung monatelang nicht ausziehen können, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden! Das ist schon seit Jahren so, wird aber eher schlechter als besser.
Einer Studie von Dezember 2024 zufolge gilt ein Fünftel der Deutschen inzwischen als arm, wenn ihr Einkommen nach Abzug der Miete betrachtet wird.
Ja, das ist schlimm. Wenn Menschen nicht mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssen, ist das ein gesundes Verhältnis. Bei den meisten ist es aber schon seit Jahren viel mehr. Die Politik hat angefangen, gegenzusteuern: mit der Mietpreisbremse, mit sozialem Wohnungsbau, auch in Greifswald. Aber es bleibt ein Problem. Ich habe jetzt ein paar Mal mitbekommen, dass Menschen aus einer Wohnung raus mussten, weil der Vermieter auf Eigenbedarf geklagt hat – um dann mit höherer Miete doch neu zu vermieten. So was müsste hart bestraft werden. Wenn echter Eigenbedarf vorliegt, muss er durchsetzbar sein, aber diese Tricks sollten unterbunden werden!
Wie schlimm ist das für Menschen, wenn ihnen bezahlbarer Wohnraum fehlt?
Sehr schlimm, damit spitzen sich alle anderen Probleme zu! Ich habe eine Frau in der Beratung, deren Beziehung seit zwei Jahren zu Ende ist, die aber weiter mit ihrem Ex-Partner zusammenwohnt, weil sie nichts bezahlbares Neues findet. Der Mann hat ihr jetzt den Wohnungsschlüssel abgenommen, sie soll klingeln, wenn sie rein will. Ein Zuhause zu haben, in dem man sich wohl und sicher fühlt, ist die Grundlage für alles andere.
Fühlen sich Menschen, die unter hohen Mieten ächzen, gesehen von den Entscheidern im Land?
Das weiß ich nicht. Ich kann aber sagen, dass es für Menschen schlimm ist, wenn sie mit Mieterhöhungen konfrontiert sind und nicht verstehen, woher die kommen. Ich habe in der Beratung manchmal Klienten, die das ganze Jahr kaum geheizt haben, um Kosten zu senken – und trotzdem mehr zahlen sollen. Das kann damit zu tun haben, dass sie in einem Wohnblock leben, in dem die Heizkosten aller umgelegt werden. Ich fände besser, wenn das Energie-Sparen Einzelner belohnt würde. Noch schlimmer ist es, wenn Menschen so etwas erleben und niemanden haben, der ihnen die Gründe erklärt. Sie fühlen sich dann ungerecht behandelt und ohnmächtig. Und das ist gefährlich, das kostet sozialen Zusammenhalt und zeigt sich auch im Wahlverhalten. Deswegen finde ich auch fatal, dass jetzt bundesweit Beratungsstellen abgebaut werden.
Welche Folgen hat es für eine Gesellschaft, wenn diejenigen, die in prekärer Lage sind, weniger Anlaufstellen haben?
Dann wächst noch mehr Ohnmacht, schwindet noch mehr Vertrauen in die Politik. Zumal seit Corona viele Behörden Abläufe digitalisiert haben und weniger offene Sprechstunden anbieten. Im Jobcenter Greifswald kommen die Leute nur noch bis zum Empfang, da wird ihnen gesagt, dass sie eine E-Mail schreiben oder einen Antrag stellen sollen. Aber viele bräuchten erst mal jemanden, der ihnen ihre Rechte und Pflichten erklärt, die wissen noch gar nicht, was für einen Antrag sie stellen könnten! Ich finde, wir müssten Beratungstellen ausbauen, nicht abbauen. Sonst kriegen wir die Stimmung in diesem Land nicht gedreht.