Zählt ein Krimi zur theologischen Literatur? Wenn er eine durch einen amerikanischen Investigativ-Journalisten glänzend recherchierte wahre Geschichte enthält, die auf ein drängendes theologisches Problem aufmerksam macht, dann darf man auch einen Plot, der wirkt wie von Dan Brown erfunden, zur theologischen Literatur zählen.
Das theologische Problem lässt sich im Vorfeld des Reformationsfestes rasch explizieren: Obwohl doch allein die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments „Richter, Regel und Richtschnur“ theologischer Orientierung in der evangelischen Kirche sein soll, wird seit einiger Zeit der überlieferte kanonische Umfang dieser Schrift in Zweifel gezogen: Die einen mäkeln am kanonischen Status der Hebräischen Bibel, des Alten Testaments, herum; die anderen fragen, ob nicht Schriften, die seit Jahrhunderten niemand mehr als kanonisch diskutierte – wie das berühmte und historisch durchaus interessante apokryph gewordene Thomasevangelium –, nicht vielleicht doch in den Kanon aufgenommen werden sollten.
War Jesus verheiratet?
In solchen Milieus finden, wie Ariel Sabar fesselnd zu erzählen weiß, die absurdesten Fälschungen einen Markt. Am 19. September 2012 präsentierte eine renommierte Professorin aus Harvard einen ziemlich dilettantisch gefälschten Papyrus mit grammatikalischen Fehlern als Evidenz für die angebliche Tatsache, dass ein antikes Evangelium unterdrückt wurde, in dem zu lesen war, dass Jesus verheiratet war.
Die Professorin hatte dabei den gefälschten Papyrus auch noch falsch übersetzt. Sabar rekonstruiert nicht nur den Weg des gefälschten Papyrus in die Wissenschaft, sondern auch den Weg des Fälschers aus der Freien Universität Berlin und dem Stasi-Museum Normannenstraße nach Amerika.
Ariel Sabar: Veritas. Wie eine Harvard-Professorin und ein Hochstapler fast das Christentum revolutioniert hätten, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg)