In Halle (Saale) geboren und aufgewachsen in einer atheistischen Familie, erlebte Harro Lucht 1957 die Inhaftierung seines Vaters, dem staatsfeindliche Hetze und Gruppenbildung vorgeworfen wurden. Mit seinem Bruder kam der Autor zu den Großeltern nach Hamburg und kehrte erst 1963 zur Mutter in die DDR zurück.
Über Freunde bekam er Kontakt zu einer evangelischen Kirchengemeinde, ließ sich taufen, konfirmieren und studierte schließlich Theologie an der Universität Greifswald. In der dortigen evangelischen Studentengemeinde (ESG) erlebte er respektvollen Umgang zwischen den Geschlechtern und das Aushalten anderer Meinungen.
Verantwortlich gelebtes Reden
Die Gespräche mit undogmatischen Marxisten und Theologen, die Begegnungen mit DDR-Schriftstellern waren nicht nur bildend, unterhaltsam und welteröffnend, sondern sie zeigten darüber hinaus Beispiele verantwortlich gelebten Redens und Lebens.
Als Lucht 1981 selbst Studentenpfarrer in Greifswald wird, will er diese Form des Gesprächs fortsetzen und den Jüngeren ebenfalls Horizonte eröffnen. Er lässt Stefan Heym in der Studentengemeinde lesen, lädt Stephan Hermlin und Heiner Müller ein, den Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski, daneben Bischof Kurt Scharf und „ältere Geschwister“, die den Kirchenkampf während der Nazizeit auf Seiten der Bekennenden Kirche miterlebt haben.
Geprägt durch achtungsvollen Umgang
Was Lucht aus der Studentengemeinde Greifswald erzählt, gilt für die meisten evangelischen, auch für die katholischen Studentengemeinden in der DDR. Sie haben uns, und da schließe ich mich ein, mit ihrer weltoffenen, verantwortlichen Frömmigkeit, mit kritischem Denken und achtungsvollem Umgang untereinander geprägt. Daran wird in dem vorliegenden Buch trotz mancher Längen und ausufernder Beschreibungen anschaulich erinnert.
Harro Lucht, Das Nadelöhr der Freiheit. Unzensierte Erinnerungen eines ostdeutschen Studentenpfarrers, Lukas Verlag, Berlin 2022, 287 Seiten, 19,80 Euro.