Der Virologe Christian Drosten schaut im Gespräch mit dem Journalisten Georg Mascolo auf die dramatischen Monate der COVID-Pandemie zurück. Dabei wird deutlich, wie stark nicht nur in der medialen Präsentation, sondern auch in der politischen Rezeption wissenschaftliche Befunde vereinfacht wurden.
In einer Nacht im März 2020 zum Beispiel bekommt Drosten von einer amerikanischen Kollegin einen Artikel zugesandt, der zeigt, wie partielle Schulschließungen in den USA bei der Spanischen Grippe 1918 bis 1920 die Pandemie bekämpfen halfen. Davon erzählt er am nächsten Morgen in einer Politikerrunde bei der Kanzlerin: In einzelnen Pandemie-Hotspots halfen einzelne Schulschließungen. Die Runde verständigt sich später in Abwesenheit der Wissenschaftler auf flächendeckende landesweite Schulschließungen. Einzelne Politiker machen für diese Entscheidungen bis heute Drosten mit verantwortlich.
Konsequenzen aus Corona-Pandemie ziehen
Drosten klagt nicht an und schreibt durchaus selbstkritisch über sein damaliges Agieren. Aber er lässt auch keinen Zweifel daran, dass das Land insgesamt gut durch die Pandemie gekommen ist, besser als die allermeisten europäischen Länder. Bei Präventionsmaßnahmen sieht die Öffentlichkeit aber eher den Schaden, den Drosten gar nicht bestreitet, als den Nutzen. Inzwischen haben viele Menschen den Ernst der damaligen Lage vergessen – man denke an die vielen Toten im italienischen Bergamo, wo in drei Wochen 4500 Menschen starben – und halten alle schmerzlichen Maßnahmen gegen die Pandemie für übertrieben.
Man muss hoffen, dass für die nächste Pandemie aus den wichtigen Einsichten von Drosten und Mascolo Konsequenzen gezogen werden, vor allem auch in der Politik und bei den Medien. Eine Chronologie von Januar 2020 bis Februar 2023 und Nachweise in Fußnoten machen das Buch zugleich zu einer Fundgrube für weitere Informationen. Damit ist es ein Musterbeispiel der Aufarbeitung, die notwendig ist, um wieder Vertrauen in der Öffentlichkeit gegenüber Wissenschaft und Politik aufzubauen.
Christian Drosten/Georg Mascolo, „Alles überstanden?“ Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird, Ullstein, Berlin 2024